2009: Versöhnung
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Stand: 28.2.2010

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Stand: 5.7.2009
 
Mit bald 135 Teilnehmern war das erstmals im Süden Deutschlands durchgeführte Kolloquium zum Thema
“Nach Krieg, Repression und Gewalt - Der schwierige Umgang mit Vergangenheit”
ein voller Erfolg! Hier der vollständige Bericht, den AFK Christine Rollin, Berlin,  erarbeitet hat - im vollen Wortlaut (unten) sowie als Berichts-Download:

 

AFK-Jahreskolloquium 2009

Nach Krieg, Gewalt und Repression:

Der schwierige Umgang mit der Vergangenheit

Bericht: Christine Rollin

 

Das Jahreskolloquium 2009 der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung e.V. (AFK) fand in der Akademie Caritas-Pirckheimer-Haus in Nürnberg statt und wurde in Kooperation mit der Evangelischen Akademie Villigst organisiert. Gefördert wurde die Tagung von der Berghof Stiftung, dem Evangelischen Entwicklungsdienst, der deutschen UNESCO-Kommission sowie der Bundeszentrale für politische Bildung.*

Begrüßung und Einführung

„Das Thema ist nicht neu, weder in der Praxis noch in der wissenschaftlichen Durchdringung von Einzelaspekten“, so Barbara Müller, Vorsitzende der AFK, in ihrer Eröffnungsrede. Insbesondere mit dem Aufkommen des Konzepts von Transitional Justice in den 1990er Jahren haben die Auseinandersetzung mit dem Thema sowie die Aktivitäten auf diesem Feld zugenommen. In der Friedensforschung komme die Problematik der Vergangenheitsbewältigung allerdings erst langsam an, was sich u. a. darin zeige, dass es bisher noch kein AFK-Kolloquium hierzu gegeben habe.

Im Jahr 2009, von der UNO zum internationalen Jahr der Aussöhnung bestimmt, wolle die AFK sich diesem Problemkomplex stellen und dabei vor allem die kritische Auseinandersetzung mit den gängigen Konzepten und ihren Problematiken vorantreiben – auch in der eigenen wissenschaftlichen Arbeit.

Die Relevanz der Thematik unterstrich Barbara Müller mit der These, dass der Umgang mit der Vergangenheit als gleichrangige Säule – neben Prävention und Beendigung von Krieg und gewaltsamen Auseinandersetzungen sowie Wiederaufbaumaßnahmen – für einen tragfähigen Frieden angesehen werden müsse. Unter Verweis auf die „Konfliktfalle“ betonte die Vorsitzende, dass Friedensabkommen lediglich einen Beginn auf dem langen Weg zum Frieden darstellen und im besten Falle eine Wiederherstellung von Beziehungen zwischen den Konfliktparteien einleiten könnten. Sei man aber nicht in der Lage, die Erwartungen „auf eine gemeinsame Zukunft in Würde und gegenseitigem Respekt mit Leben zu füllen“, so könne das letztlich die Gewaltspirale von Neuem antreiben.

Ziel des Kolloquiums sei dabei nicht, das Thema in der Tiefe auszuloten, sondern in der Breite einzubetten. Hierfür sei der Themenrahmen bewusst weit gefasst. Weil die Beschäftigung mit dem Thema gerade in Deutschland keineswegs nur theoretisch-abstrakt sei, solle die deutsche Vergangenheit auch nicht außen vor gelassen werden. Nürnberg sei daher absichtlich als Tagungsort gewählt. Als „Stadt der Reichsparteitage“ und historische Kulisse für die nationalsozialistische Bewegung trage sie einerseits die Bürde der Vergangenheit, andererseits stehe sie mit den Nürnberger Prinzipien für die revolutionäre Weiterentwicklung des Völkerrechts. Zudem habe Nürnberg heute die Menschenrechtsarbeit in den städtischen Strukturen etabliert und ziehe damit fortlaufend Konsequenzen aus der eigenen Vergangenheit.

Uwe Trittmann, Studienleiter der Evangelischen Akademie Villigst, regte im Anschluss an, sich den Titel des Kolloquiums zu vergegenwärtigen: „Schwierig“ bedeute, eine Wertung vorzunehmen. Das Jahr der Ver- oder Aussöhnung sei dabei nicht nur dazu gedacht, dass Aussöhnungsprozesse stattfinden, sondern auch dazu, dass eine „Kultur der Aussöhnung“ entwickelt werden könne.

Als Hausherr begrüßte der Akademiedirektor und Geschäftsführer des Caritas-Pirckheimer-Hauses, Dr. Siegfried Grillmeyer, die Gäste und führte an, dass es bei manchen Tagungen keine Rolle spiele, welchen Veranstaltungsort man wähle. Für diese Tagung aber bildeten Nürnberg als Stadt des Friedens und der Menschenrechte und das Caritas-Pirckheimer-Haus mit seiner mutigen Namenspatronin und bewegten Geschichte einen besonders beziehungsreichen Ort.

Versöhnung und Aufbau der Zivilgesellschaft nach gewaltsamen Konflikten

„Peace. ... What is peace?“ Mit dieser Frage begann Rama Mani, vom World Future Council, den Vortrag am Freitagnachmittag. Sie fuhr fort mit dem Hinweis, dass die im Kolloquium behandelten Fragestellungen in den Internationalen Beziehungen – 55 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, 15 Jahre nach Ruanda und nächstes Jahr 15 Jahre nach Srebrenica – immer noch fremd seien. Es sei daher erforderlich, gründlich und kritisch zu hinterfragen, ob es nicht nötig sei, das Feld neu zu kalibrieren. Der Fall Südafrika bspw. zeige deutlich, dass die Wahrheitskommission gut gewesen sei, aber eben nicht ausreichend.

Ihren weiteren Vortrag entfaltete sie in fünf Fragekomplexen:

1. Was treibt uns an? – Es gebe viele verschiedene Ansätze und Standpunkte unter denjenigen, die sich mit diesem Themenfeld beschäftigen. Allen gemein sei allerdings der Wunsch und das Streben nach Inklusion, also nach einer inklusiven Gesellschaft.

2. Was sollte unseren Ausgangspunkt bilden? – Heute definierten die Erfahrungen der Überlebenden die Art der „Gerechtigkeit“ und damit die Zukunft. Dadurch würden jedoch die Symptome ignoriert. Es gebe drei Wege der „Ungerechtigkeit“: strukturelle Ungerechtigkeit, Symptome des Konflikts und Konsequenzen des Konflikts.

3. Was sind unsere Mittel? Sind diese gut? – Wahrheitskommissionen und Tribunale seien heute die bevorzugten Instrumente, wohingegen andere, mit Ausnahme möglicherweise von Reformen des Sicherheitssektors (SSR) und Reparationen, vernachlässigt würden. Dies führe dazu, dass nicht alle Überlebenden eingebunden werden: Tribunale seien in ihrer Natur gegnerische Prozesse, die die Spaltungen in der Gesellschaft lediglich reproduzierten, und Wahrheitskommission erlaubten zwar das Nebeneinander von unterschiedlichen Wahrheiten, hätten jedoch meist kein ausreichendes Mandat, um wirkmächtig zu werden, und fokussierten wiederum nur auf Opfer und Täter. Es mangele an inklusiven Mitteln für alle Überlebenden (Stichwort: bystanders), wie wiedergutmachende Justiz (reparative justice) sie vielleicht biete.

4. Welche Reichweite hat das Recht/Gerechtigkeit? Zu eng oder zu weit? – Man müsse sich stets über die Konsequenzen seines Handelns im Klaren sein sowie darüber, dass die vorhandenen Mittel verbessert werden müssen und dass man neben transitional justice auch social justice im Blick haben sollte.

5. Wie sieht die Zukunft aus? – Die vorhandenen Schulen sollten vertieft und erweitert werden und flexibel bleiben. Dabei sei es sehr wichtig, den „Erforschten“ mit Respekt und Sensitivität zu begegnen. Außerdem sollten Frauen stärker in den Friedensprozess eingebunden sowie ein größeres Augenmerk auf die Prävention von gewaltsamen Auseinandersetzungen gelegt werden.

Im anschließenden regen Austausch wollte Susanne Buckley-Zistel wissen, wie beispielsweise Geberländer, die das Transitional Justice-Konzept aufgreifen, ihre Programme zukünftig gestalten sollten, wenn Tribunale und Wahrheitskommissionen nicht ausreichen. Hierauf erneuerte Mani ihre Forderung nach umfassenderen Maßnahmen, wie beispielsweise eine Verurteilung von Kriegsunternehmern und aktivere Korruptionsbekämpfung. Rita Schäfer wies darauf hin, dass die Forderung nach mehr Beteiligung von Frauen an den Verhandlungstischen auch ein Arbeiten an der Maskulinität erfordere, was auf große Zustimmung bei der Referentin traf. Hans-Jürgen Becker gab zu bedenken, dass soziale Ungerechtigkeiten viel mit Machtstrukturen zu tun hätten und deren Lösung in Post-Konflikt-Situationen unrealistisch scheine; zudem seien Reparationsleistungen für Opfer häufig etwas sehr Widersprüchliches. Rama Mani entgegnete, dass man nur durch eine Aufhebung bzw. Veränderung der Ausgangssituation des Konflikts darauf hoffen könne, dass sich etwas verbessere, und dass Reparationen neben dem legalen, materiellen und moralischen Element auch ein psychologisches Element hätten. Um den Bogen zur wissenschaftlichen Arbeit zu schlagen, fragte Barbara Müller nach, wie sich die Forschung denn ändern müsste, wenn man die Erfahrung von Überlebenden als Ausgangspunkt nehmen wolle.

Mit der Forderung nach mehr Selbstreflexion und der Einbeziehung existierender Methodologien, wie etwa der Hermeneutik, Feministischer Forschung, Erzählungen/Narrativen – und damit dem „Sehen mit den Augen der Betroffenen“ – schloss Rama Mani ihren Beitrag.

Der Umgang der Deutschen mit ihrer Vergangenheit – Wahrnehmungen von außen

In die erste Gesprächsrunde führte Thomas Kater mit dem Hinweis auf zwei Deutungsperspektiven ein: die der Täter und die der Opfer, und weiter, dass Versöhnung anzustreben immer bedeute, dem Opfer etwas zuzumuten. Da es in der Gesprächsrunde nicht um eine Nabelschau gehen solle, sei der Blick von außen gewählt worden.

Den Auftakt machte Angela Mickley, Fachhochschule Potsdam, die von der blutigen Niederschlagung von Herero-Aufständen durch die Kolonialherren in Deutsch-Südwestafrika (heute Namibia) berichtete. Die BRD, so Mickley, habe sich nie bei Namibia bzw. den betroffenen Volksgruppen entschuldigt. Dies habe lediglich Heidemarie Wieczorek-Zeul und zwar als „Christin“ und nicht in ihrer Funktion als Ministerin getan. Reparationszahlungen habe sie abgelehnt und stattdessen auf die intensive Entwicklungszusammenarbeit verwiesen. In Namibia ließe sich indes eine transgenerationale Traumaweitergabe beobachten.

Mit Blick auf die deutsch-französischen Beziehungen verwies Emmanuel Droit, Centre interdisciplinaire d'études et de recherches sur l'Allemagne (CIERA), als Erstes auf den semantischen Unterschied zwischen dem französischen „devoir de mémoire“ und der deutschen „Vergangenheitsbewältigung/Aufarbeitung der Vergangenheit“. Die deutsch-französische Versöhnung erscheine heute dank einiger „Gedächtnisunternehmer“ in der Zivilgesellschaft und im Staat als Erfolgsmodell. Die Verbreitung eines friedensstiftenden Diskurses sei gelungen und bestimmte Gesten seien zu Ikonen der Versöhnung geworden. Zum Erfolg habe auch die Existenz von „Gedächtnislöchern“ (Bastide: „trous de mémoire“) beigetragen, also die Verdrängung von bestimmten Sachverhalten oder Themen im Prozess der Annäherung.

Der Kölner Journalist Günter B. Ginzel leitete seinen Beitrag mit der Feststellung ein, dass es einerseits ein Verhältnis zwischen Deutschen und Juden in Deutschland gebe und andererseits eines zwischen Deutschland und Israel. Das jüdische Leben in Deutschland sei immer auf die Vergangenheit gerichtet und damit instrumentalisiert: zum Aufzeigen der „eigenen Besserung“. Im Verhältnis von Deutschland (BRD) und Israel seien moralische Ansätze marginal gewesen, vielmehr seien primär Finanzmittel eingesetzt worden, um eine enge wirtschaftliche Zusammenarbeit zu erzielen. Die Annäherung hätten letztlich zivilgesellschaftliche Gruppierungen geschafft, worin auch die einzige Lösung für die heutige Situation des Nahostkonfliktes liege, also in der Begegnung von Menschen (ohne die Religionen).

Der Umgang mit dem Holocaust könne nicht als Transitional Justice, sondern als transnational justice verstanden werden, so Dirk Rupnow vom Institute for Human Sciences in Wien. Denn die Aufarbeitung sei in jedem Land anders verlaufen und daher ein sehr diverses Geschehen. Weiter wies Rupnow darauf hin, dass die Inklusion nach 1945 in Deutschland sich nicht auf die Juden richtete, sondern auf die Täter (Massenmörder werden wieder „normale“ Familienväter), wobei diese „große Leistung“ der Gesellschaft viel zu wenig erforscht sei. Abschließend wurde die Frage danach aufgeworfen, wie viel Erinnerung notwendig sei bzw. ob es ein Zuviel an Erinnerung geben könne.

In der anschließenden Diskussion wurde vor allem deutlich gemacht, dass Deutschland relativ viel und relativ früh aufzuarbeiten begonnen habe, gerade auch im Vergleich zu anderen (kollaborierenden) Ländern. Des Weiteren wurde auf eine große Diskrepanz zwischen der Friedens- und Konfliktforschung, der Praxis und der Politik verwiesen. Im Falle von Frankreich erläuterte Droit, dass sich die Diskussion auf die Instrumentalisierung von Erinnerungskultur konzentriere. Frankreich sei ein Gedächtnisschlachtfeld, auf dem konkurrierende Opferverbände die „gerechte Erinnerung“ instrumentalisieren, während die echten Opfer des nationalsozialistischen Regimes naturgemäß tot seien.

Neue Horizonte in der Friedens- und Konfliktforschung

Unter diesem Titel fand am Freitagabend die Verleihung des Christiane-Rajewsky-Preises 2009 statt. Tanja Brühl berichtete, dass 22 Arbeiten in großer thematischer Bandbreite eingesandt wurden. Oft sei es dann darum gegangen zu prüfen, worin der Bezug der jeweiligen Arbeit zur Friedensforschung bestehe. Den zweiten Preis erhielt Cordula Dittmer mit ihrer Dissertation zur Genderkonstruktion im Militär unter besonderer Berücksichtigung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Der erste Preis ging an Manuel Winkelkotte, der in seiner Diplomarbeit unter Anwendung des sog. Hamburger Ansatzes den innerpalästinensischen Konflikt analysiert hat.

Einführung und kritische Reflexion des Transitional Justice-Ansatzes

Den Auftakt am Samstagmorgen machte David Bloomfield vom irischen Glencree Center for Peace and Reconciliation. In seinem Vortrag konstatierte er zunächst, dass Transitional Justice wichtig sei, da die Vergangenheit, wenn man sie nicht aufarbeite, das neue System unterminiere. Heute gehe man aber vielfach zu weit. So könne man teilweise beobachten, dass Friedensabkommen unmittelbar den Reflex auslösen, Wahrheitskommissionen und Tribunale einzurichten. Zwar brauche man Mechanismen, um die Vergangenheit aufzuarbeiten. Diese Aufarbeitung beginne häufig mit „der Wahrheit“, doch üblicherweise stoße man auf multiple Wahrheiten. Oft meinten Opfer, die von Gerechtigkeit sprächen, auch tatsächlich Vergeltung. Zudem mahnte Bloomfield an, dass der Begriff in der Anlage zwar für eine „kurze“ Zeit (des Übergangs) stehe, aber viele Maßnahmen langfristige Auswirkungen haben könnten, bspw. Rechtsreformen.

Zum Begriff der Versöhnung/Aussöhnung bot Bloomfield eine Definition an, die in der anschließenden Diskussion vielfach aufgegriffen wurde. Demnach sei Versöhnung/Aussöhnung der (Wieder-)Aufbau von positiven Beziehungen. Dieser Vorgang sei prozessual zu denken; Wahrheit, Gerechtigkeit, Heilung und Reparationen seien Bestandteile von Versöhnung. Vergebung hingegen sei nicht nötig, wenngleich natürlich willkommen. Allerdings könne man diese von den Opfern nie fordern. Eine eindeutige Unterscheidung in Opfer und Täter sei schwierig und „Opfer-Sein“ meist ein von allen Seiten geteilter Status.

Den letzten Teil des Vortrags bildete ein Bericht über seine konkrete Arbeit in Irland. Dort werde der Umgang mit der Vergangenheit kaum thematisiert, Opfer- und Täterrollen seien häufig miteinander verquickt, und aufseiten der Regierung wie auch der britischen Armee gebe es „dunkle Geheimnisse“. Die unterschiedlichen Opferverbände seien deutlich entlang religiöser Linien organisiert. Diese Spaltungen versuche man am Glencree Center for Peace and Reconciliation zu überwinden, indem man Ex-Kombattanten gemeinsam auf Reisen, z. B. in den südafrikanischen Busch, schicke und somit erstmals einen Raum für Begegnungen auf der individuellen Ebene schaffe.

Die sich anschließende Diskussion kreiste vorwiegend um verschiedene Begrifflichkeiten, die im Vortrag aufgetaucht waren sowie die Messbarkeit bzw. Kriterien von Erfolg. So wollte Barbara Meier wissen, inwiefern Versöhnung/Aussöhnung u. a. eine Frage von Inklusion sei, worauf Bloomfield antwortete, dass es möglicherweise um Inklusion gehe. Beim Peace-Making hingegen gehe es definitiv um Inklusion. Auf Andreas Hasenclevers Frage nach Kriterien für den Erfolg von Aussöhnugsmaßnahmen führte David Bloomfield an, dass positiver Friede, mit Galtung gesprochen, das Aufbauen von positiven Beziehungen sei. Der Erfolg sei aber nicht messbar und somit gebe es auch keine Kriterien dafür. Zu Christine Schweitzers Frage nach den Evaluierungsmöglichkeiten der Programme des Glencree Centers berichtete Bloomfield, dass die Teilnehmer sich auch nach den Reisen noch treffen, die Herausforderung aber nun darin bestehe, die entstandenen Netzwerke aufrechtzuerhalten. Marina Grasse wollte abschließend wissen, welche Rolle religiöse Akteure heute spielen. Daraufhin machte David Bloomfield deutlich, dass die Kirchen signifikant zum Konflikt beigetragen hätten und man deswegen heute auch gezielt auf sie zugehe und versuche, sie zu überzeugen, sich mit ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen.

Die erste Runde von Gesprächsforen widmete sich am Samstagmorgen dem Komplex „Kontexte und Konzepte“.

Forum Trauma: Ambivalente Opfer-/Täter-Perspektiven

Zunächst wurden die Fragen der Anwesenden gesammelt. Mit einem Bericht zum Konflikt in Gujarat (Indien), seinem Kontext und seiner Gewalteruption in ein Massaker im Jahr 2002, leitete Nimisha Desai, die vor Ort in der Frauenrechtsorganisation „Olakh – Feminist Documentation, Resource and Counselling Centre“ arbeitet, in das Thema ein. Sie berichtete von der Situation der verschiedenen Betroffenengruppen und dem Kontext, in dem ihre Organisation begann, mit den Opfern der Gewalt zu arbeiten. In den Inputs, Nachfragen und Ergänzungen wurden insbesondere die folgenden Aspekte von Trauma herausgearbeitet: Alle drei ExpertInnen verwiesen darauf, dass man von Trauma nur im Zusammenhang konkreter Kontexte sinnvoll sprechen könne. Erst im Kontext werde deutlich, um welche traumatischen Erfahrungen in welchen Personengruppen, z. B. direkte Opfer, helfende, Täter, es gehe, und wie die Traumabearbeitung angelegt werden und vonstatten gehen könne. Trauma und dessen Bearbeitung müsse als nicht-linearer Prozess verstanden werden, also mehr als ein „Ereignis mit Folgen“. Hierauf verwies insbesondere David Becker vom Institut für Psychosoziale Prozesse der Freien Universität Berlin und unterstrich weiter, dass es in der Traumabearbeitung keine Blaupausen gebe. Zudem sei Trauma auf zwei Ebenen bedeutungsvoll: der individuellen und der sozialen.

Verortet sei Trauma auf der individuellen Ebene, wo eine Person leibhaftig in Mitleidenschaft gezogen worden sei, hier müsse auch die Bearbeitung eines Traumas stattfinden. Wenn man dieser Ansicht folge, könnten auch Täter traumatisiert bzw. in Mitleidenschaft gezogen worden sein und ihre traumatische Betroffenheit könne ihnen zugestanden werden. Vor allem David Becker verwahrte sich dagegen, von einem kollektiven Trauma zu sprechen. Das Kollektiv repräsentiere die soziale Ebene, auf der der gesellschaftliche Diskurs über das Trauma – aber auch über die Taten, die zum Trauma geführt hätten und über Verantwortung und Schuld – geführt werde. Traumatisierung entschulde nicht, aber die Frage der Schuld müsse im sozialen Raum aufgegriffen werden, in dem die Leiderfahrung stattfinde und Anerkennung finden müsse.

Forum Friedenskonsolidierung und Transitional Justice

Die zentrale Fragestellung des Forums lautete: Auf welche Weise und unter welchen strukturellen und normativen Bedingungen kann Transitional Justice nach Krieg, Gewalt und Repression einen Beitrag zur Festigung des Friedens leisten? Drei Kurzvorträge boten Annäherungen. Natascha Zupan, Arbeitsgemeinschaft Entwicklungspolitische Friedensarbeit in Bonn, erörterte „Entwicklung und Transitional Justice“. Martina Fischer, Berghof Forschungszentrum für konstruktive Konfliktbearbeitung, Berlin, referierte zur „Aufarbeitung von Vergangenheit in ethnopolitischen Gewaltkonflikten am Beispiel Bosnien-Herzegowinas“. Marcel Baumann, Universität Freiburg, schließlich befasste sich mit dem Konfliktfall Nordirland. Mitte der 1990er Jahre seien das Konzept der Transitional Justice und mit ihm intensivierte externe Förderungsstrategien aufgekommen, namentlich hinsichtlich der Etablierung von Tribunalen. Diese externen Maßnahmen träfen jedoch vielfach auf qualitativ veränderte gesellschaftliche Kontextbedingungen wie massive soziale Ungerechtigkeiten und Gewalterfahrungen, schwache Staatlichkeit, andersartige kulturelle Gegebenheiten. Die Anpassung an die veränderten Kontextbedingungen sei bislang nicht zufriedenstellend gelungen, sodass die bisherige Praxis zunehmend kritisch hinterfragt und weitere kontextspezifische Anpassungen von Transitional Justice-Mechanismen gefordert würden. So müsse es bspw. eine wirksamere Verknüpfung zwischen den juristischen Verfahren und zivilgesellschaftlichen Ansätzen geben. Prozesse der Versöhnung könnten weder durch Top-down-Ansätze noch Bottom-up-Initiativen im Alleingang erfolgen. Eine zentrale Herausforderung bestehe deswegen darin, die Vorgehensweisen auf den unterschiedlichen Ebenen in Beziehung zueinander zu setzen oder gar zu verbinden. Ferner seien eine bessere Abstimmung und Zusammenführung von Ansätzen der Entwicklungszusammenarbeit und der Transitional Justice erforderlich.

Im Zusammenhang mit dem irischen Fall merkte Marcel Baumann an, dass eine Art „Friedensindustrie“ dazu führe, dass keine Motivation für eine konstruktive Aufarbeitung der gewaltsamen Vergangenheit aufkomme. Natascha Zupan mahnte abschließend an, dass der normative Rahmen der externen Maßnahmen und deren Umsetzung aufgrund der „westlichen Agenda des liberal peace“ problematisch seien. Einigkeit bestand darin, dass es keine Blaupausen oder Rezepte für erfolgreiche Vergangenheitsarbeit gebe. Alle Formen der Aufarbeitung müssten sich aus den spezifischen Kontexten entwickeln und den jeweiligen kulturellen und gesellschaftlichen Dynamiken angepasst sein.

Forum Versöhnung und normative Werte

Das Forum hatte eine Klärung des Begriffs der „Versöhnung“ zum Ziel, insbesondere unter den Gesichtspunkten, wie werthaltig dieser ist und welche Werte ihm zugrunde liegen. In der Diskussion zeichnete sich kein Konsens zu diesen Fragen ab, was wohl dem Umstand zugeschrieben werden kann, dass zwei sehr unterschiedliche Begriffe von Versöhnung verwendet wurden: zum einen Versöhnung als gelingende Wiederherstellung von positiven Beziehungen, wobei der Begriff in diesem Sinn wenig werthaltig wäre und zum anderen Versöhnung als Begriff in enger Verbindung zu christlichen Glaubensvorstellungen, also mit Konnotationen nahe am Begriff der Vergebung. Außerdem wurde die Frage der angemessenen Übersetzung von reconciliation aufgeworfen – während das laufende UNO-Jahr meist als „Jahr der Aussöhnung“ übersetzt werde, sei der traditionelle Begriff im Deutschen „Versöhnung“.

Anika Oettler, GIGA Institut für Lateinamerika-Studien in Hamburg, konzentrierte sich auf die begriffliche Definition von „Geschichtsaufarbeitung/Vergangenheitsbewältigung“ (laut T. G. Ash kaum übersetzbar) und machte drei Phasen fest: Als Instrumente hätten bis 1989 vor allem Gerichte gedient, bis Ende der 1990er Jahre seien Wahrheits- und Versöhnungskommissionen hinzugekommen. Seitdem werde ein umfassenderer Begriff verwendet, überprägt seit Mitte der 1990er Jahre vom englischen Begriff der Transitional Justice. Dieser habe selbst eine Wandlung erfahren, vom engen Begriff der Übergangsjustiz hin zu umfassender Vergangenheitsaufarbeitung. Problematisch seien die starke Institutionalisierung sowie der teilweise stark normative Gehalt mit dem Ziel einer Demokratisierung westlichen Zuschnitts – und weniger dem Ziel von Frieden. Ebenfalls problematisch sei zudem, dass Werte und Ziele zu oft von außen definiert würden. Im Umfeld von Transitional Justice werde wegen der Nähe zu christlichen Glaubensvorstellungen reconciliation als Begriff nur im Sinne des civic trust models verwendet.

Ljubinka Petrovic-Ziemer, die am Berghof Forschungszentrum für konstruktive Konfliktbearbeitung in Berlin tätig ist, bezog sich auf den werthaltigen Versöhnungsbegriff und erläuterte dessen Problematik anhand der Aufarbeitung des Krieges in Bosnien-Herzegowina. Die serbisch-orthodoxe Kirche habe einerseits als Volkskirche und „Beschützerin“ bereits früh eine schwierige Rolle gespielt, andererseits habe sie den Begriff Versöhnung missbraucht. Zudem wecke „Versöhnung“ starke Assoziationen mit der Versöhnung von Mensch und Gott durch Jesus Christus als Mittler – diese Mittlerfunktion kenne der Islam nicht. Es sei der Eindruck entstanden, dass gerade Christen wegen des implizierten Mittlers und Jesus’ Beispiel zu schnell von Vergebung sprechen. Muslime schlössen daraus, dass sich christliche Gemeinschaften zu wenig mit ihrer Schuld auseinandersetzten. Christen bezeichneten wiederum häufig Menschen, die nicht vergeben könnten, als defizitär. Petrovic-Ziemer stellte auch Beispiele glaubwürdigen Agierens von Kirchen vor, z. B. der Abgrenzung der katholischen Kirche in Bosnien gegen nationalistische kroatische Politik. Sie setzte dem Versöhnungsbegriff die „interreligiöse Friedensarbeit“ entgegen.

Canon Grace Kaiso vom Uganda Joint Christian Council, Kampala, berichtete von den Anstrengungen der Kirchen in Uganda, die „Lord’s Resistance Army“ (LRA) von Joseph Kony und die Regierung 2006 an den Verhandlungstisch zu bringen. In Uganda gebe es eine verbreitete Unzufriedenheit mit dem Strafbefehl des Internationalen Gerichtshofs gegen fünf LRA-Anführer. So berichtete Kaiso vom Willen der betroffenen Gemeinschaften, ein traditionelles Gerichtsbarkeitssystem zur Aufarbeitung der Vergangenheit zu nutzen. Dieses gemeinschaftliche Verfahren, das mehrere Rituale umfasse und Opfer in einen ganzen Clan einbette, beziehe den Täter ausdrücklich ein, es solle seine Würde in der Gesellschaft wiederherstellen. Damit antworte das System auf die schwierige Unterscheidung zwischen Tätern und Opfern, gerade im Fall von missbrauchten Kindersoldaten. Für ihn bedeute die Weigerung zur Vergebung eine Weigerung, zerbrochene Verbindungen neu zu knüpfen.

Katharina Gajdukowa referierte zum Umgang mit der SED in den östlichen Bundesländern und zur Aufarbeitung der deutsch-deutschen Vergangenheit. Weltweit vorbildlich sei in diesem Fall der rechtsstaatliche Umgang mit den Kadern gewesen. Auch an offiziellen Strukturen mangele es mit der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Bundes- und Landesbeauftragten nicht. Jedoch werde Opfern in den meisten offiziellen Prozessen kein angemessener Platz gegeben, um ihren Erfahrungen Ausdruck zu verleihen. Es gebe eine fortlaufende Professionalisierung zuungunsten der aktiven Einbindung der Opfer. Im Hinblick auf die Aussöhnung von Ost und West verstelle das angebliche „Wunder der Einheit“ den Blick auf Realitäten. Insgesamt müsse die Aufarbeitung deutlich demokratischer gestaltet werden – Opfern müsse mehr Stimme gegeben und sie müssten mit Tätern an einen Tisch gesetzt werden. Versöhnung, so Gajdukowa, sei ein moralischer Wert, der für den Grad gesellschaftlicher Integration stehe.

Forum Erinnern und Gedenken

Im Forum sollten die Fragen bearbeitet werden, welche Konzepte und konkreten Formen des Gedenkens es gebe, welche Funktionen es erfülle, wie Erinnerungsdiskurse und -kulturen entstehen und den Weg ins kollektive bzw. kulturelle und kommunikative Gedächtnis finden, und vor allem, ob Erinnern und Gedenken dem Anspruch, eine tragende Rolle in Friedensprozessen zu spielen, gerecht werden können.

Am Beispiel der argentinischen Marineschule Escuela de Mecánica de la Armada (ESMA) werde deutlich, so Annette Nana Heidhues vom Paolo Freire Institut der Freien Universität Berlin, wie stark Orte der Erinnerung „umkämpftes Terrain“ seien, gerade wenn es um die Einrichtung von offiziellen Stätten der Erinnerung gehe, die den Anspruch erhöben, das gesamtgesellschaftliche Erinnern zu fördern. Die „Kämpfe und die Markierung“ (Elisabeth Jelin) liefen naturgemäß nicht ohne Konflikte ab. So sei um die ESMA eine breite Debatte entbrannt, auch zwischen jenen, die eine Gedenkstätte grundsätzlich befürworteten. Es gebe keine Einigkeit über die Interpretation der Vergangenheit und die Funktion öffentlichen Gedenkens. Weiterhin stelle sich die Frage, inwiefern Erinnerungsorte zur konstruktiven Konflikttransformation und Versöhnung beitragen können und sollen oder gar konfliktverschärfend wirken. Oder auch, wie ein Erinnerungsort geschaffen werden könnte, der verschiedene Versionen zulasse. Erinnern, so Heidhues, sei immer politischen Konjunkturen unterworfen, jede Epoche habe ihr eigenes – vom jeweiligen Kontext geprägtes – kollektives Gedächtnis (Maurice Halbwachs). Die Frage sei, wie politisch eine Gedenkstätte sein dürfe.

Berthold Meyer, Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung in Frankfurt/Main, stellte zur Diskussion, welche eine angemessene Form sei, der Toten der Bundeswehr zu gedenken, und welche Risiken erwüchsen, wenn diese Form nicht gefunden werde. Dabei gehe es vor allem darum, zu fragen, was es bedeute, wenn ein Denkmal in der Unternehmenszentrale zum „zentralen Ehrenmal“ stilisiert werde und ob es gerechtfertigt sei, Parallelen zu den Kriegerdenkmälern zu ziehen, die nach 1870/71 bzw. dem Ersten Weltkrieg errichtet wurden. Und abschließend, ob es ggf. ein notwendiges „Denk-Mal“ wäre, eine Gedenkstätte für die in Auslandseinsätzen gefallenen SoldatInnen in Sichtweite der Abgeordneten, also nahe dem Reichstagsgebäude einzurichten, oder ob sich dies mit dem „Ehrenmal“ im Bendlerblock ausschlösse.

In Spanien tobe seit mehreren Jahren ein diskursiver Kampf um die Deutung der Vergangenheit, so Walther L. Bernecker von der Universität Nürnberg-Erlangen. Dies betreffe insbesondere die Zeit des Spanischen Bürgerkrieges und die ihm folgende Franco-Diktatur, wobei die bittere Polemik interessanterweise erst um die Jahrtausendwende entbrannt sei, während in den Jahren des Übergangs von der Diktatur in die Demokratie nach dem Tode Francos 1975 keine öffentliche Auseinandersetzung über die Gewalt im Bürgerkrieg und in der besonders repressiven Phase der Diktatur stattgefunden habe. Inzwischen habe jedoch ein wahrhafter Erinnerungsboom eingesetzt, der sich in Forschung, Literatur und Massenmedien ebenso wie in der von zahlreichen Bürgerinitiativen betriebenen Suche nach den „Verschwundenen“ des Bürgerkriegs niederschlage. Mit dem „Tal der Gefallenen“ existiere andererseits ein Wallfahrtsort für franquistische Nostalgiker, mit dem die Demokratie Probleme habe. Abschließend berichtete Bernecker vom „Gesetz zur historischen Erinnerung“, das als Rehabilitationsgesetz für die Opfer des Franquismus von den regierenden Sozialisten Ende 2007 in Kraft gesetzt wurde.

Die Gesprächsrunden am Nachmittag beschäftigten sich mit den verschiedenen Instrumenten der Vergangenheitsbewältigung bzw. -aufarbeitung.

Forum Internationale Strafprozesse

Im Forum wurde die Frage gestellt, welchen Beitrag eine rechtliche Sanktionierung für die Schaffung einer dauerhaft friedlichen Zukunft nach Krieg, Gewalt und Repression leisten könne. Hans-Christian Täubrich vom Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände Nürnberg sprach zur strafrechtlichen Aufarbeitung der nationalsozialistischen Gewaltexzesse. Diese deutsche Perspektive erweiterte Annette Weinke vom Historischen Institut der Universität Jena um die Frage nach dem „deutschen Sonderweg im Umgang mit Makrokriminalität“.

Klaus Hoffmann, International Criminal Tribunal for the former Yugoslawia, Den Haag, steuerte schließlich mit seinem Beitrag zur Internationalen Strafgerichtsbarkeit noch die internationale Perspektive bei. Und Regina Mühlhäuser, die am Hamburger Institut für Sozialforschung tätig ist, rückte die Frage nach sexualisierter Gewalt in Konflikten in den Blick.

Forum Wahrheitskommissionen

Während sich das Instrument der Wahrheitskommission in der Praxis – sowohl im Rahmen von Friedensmissionen als auch bei der Aufdeckung von Staatsverbrechen autoritärer Regime – längst durchgesetzt habe, werde es in der Wissenschaft (noch) breit diskutiert. Denn dass die Wahrheit heile oder Versöhnung durch Wahrheit ermöglicht werde, seien Thesen, die konfliktiver und komplexer sind, als es zunächst scheine, darin waren sich die Expertinnen einig. Wo liegen also die Grenzen und Möglichkeiten von Wahrheitskommissionen? Was ist Wahrheit und wer besitzt die Deutungsmacht, Wahrheit zu legitimieren?

Anne Krüger, tätig am Zentrum für zeithistorische Forschung in Potsdam, plädierte zum Abschluss ihres Kurzvortrags zu den deutschen Enquête-Kommissionen zur Aufarbeitung der SED-Vergangenheit dafür, von der Gegenüberstellung von Wahrheitskommissionen und juristischen Aufarbeitungsmaßnahmen abzukommen und beiden eine eher sich gegenseitig ergänzende Rolle zuzuschreiben. Von der marokkanischen Wahrheitskommission berichtete Bettina Dennerlein, Orientalisches Seminar der Universität Zürich, und hob in erster Linie die Besonderheit hervor, dass hier kein Regimewechsel stattgefunden habe, wenn auch eine Öffnung entlang des Themenkomplexes „Menschenrechte“. Rita Schäfer, freiberufliche Ethnologin aus Essen, referierte abschließend zum Geschlechteraspekt im Bezug auf die Wahrheitskommission in Südafrika.

Aus den drei Beiträgen konnten einige gemeinsame Problembereiche von Wahrheitskommissionen identifiziert werden: So sei ihre Verankerung in der Bevölkerung keinesfalls gewährleistet. Ebenfalls problematisch sei die Konzentration auf die politische Ebene bei gleichzeitiger Verengung auf politische Menschenrechte. Genderaspekte von Menschenrechtsverletzungen würden dabei nicht systematisch und vor allem nicht in sensibilisierten Verfahren aufgearbeitet. Häufig werde der holistische Anspruch durch aktuelle Herrschaftsinteressen überlagert, Wahrheitskommissionen befänden sich damit in einem permanenten Spannungsverhältnis zwischen Vergangenheit und Gegenwart.

Eine offene Frage sei nach wie vor, wann Gesellschaften für welche Wahrheit bereit seien (Stichwort: ripe moment). Dabei sei eines klar: context matters. Und so könnten die Wirkungsweisen von Wahrheitskommissionen nur in einer kontextuellen Analyse Aufschluss über notwendige Faktoren zum „Erfolg“ geben.

Wahrheitskommissionen fungierten als Symbolträger. Dieser Charakter gehe jedoch verloren, wenn politische und ökonomische Ungleichheiten nicht adressiert würden. In dem Fall werde auch die Chance verpasst, ein politisches Moment zu kreieren. Auch Wahrheitskommissionen müssten stärker als Prozess betrachtet werden, bei dem die Wahrheitsfindung in der Gesellschaft mit der Publikation eines Abschlussberichtes noch keineswegs abgeschlossen sei.

Forum Institutionelle Reform und Security Sector Reform

Das Gesprächsforum wurde durch den Beitrag von Ruth Fuchs, GIGA Institut für Lateinamerika-Studien Hamburg, zum Zusammenhang von Vergangenheitspolitik und Demokratiekonsolidierung eröffnet. Auf der Grundlage ihrer vergleichenden Untersuchung der Vergangenheitspolitik in Argentinien und Uruguay in den Jahren 1983 bis 2008 stellte sie fest, dass keine direkte Verbindung zwischen „dem Stand der staatlichen Aufarbeitung der begangenen Menschenrechtsverletzungen und dem Grad der demokratischen Konsolidierung“ beobachtet werden könne. Allerdings komme den Instrumenten der Sicherheitssektorreform bei dem „Bruch mit politischen Praktiken, die in der Vergangenheit zu Menschenrechtsverbrechen geführt haben“, wesentliche Bedeutung zu. Ruth Fuchs betonte, dass für die Auseinandersetzung mit in der Vergangenheit begangenen Verbrechen einerseits eine „klare politische Agenda für die nachhaltige Demokratisierung des Sicherheitssystems“ sowie „Maßnahmen zur Stärkung des Rechtsstaats und der Gewaltenkontrolle“ unabdingbar seien. Andererseits könnten auch Reformen im Sicherheitssektor für Vergangenheitspolitik „einen günstigen Rahmen schaffen und neue Impulse liefern“.

Im Mittelpunkt der Ausführungen von Ruth Stanley, Freie Universität Berlin, stand der Beitrag, den das Konzept der Sicherheitssektorreform zum Frieden leisten kann. Sie führte aus, dass das Konzept zum einen „auf einen ganzheitlichen Ansatz“ Bezug nehme und dabei auch und besonders die „Sicherheit von Individuen und Gemeinschaften“ einschließe. Zum anderen solle das Konzept der Sicherheitssektorreform „zu einer normativ anspruchsvollen Sicherheitspolitik“ beitragen, welche „Menschenrechte schützt und demokratisch sowie transparent ist“. In der praktischen Anwendung des Konzepts sieht Stanley jedoch deutliche Mängel. Als Defizite nannte sie die „Reduzierung des als ganzheitlich gedachten Konzepts auf Militär- und Justizreform“, die weitgehende Ausblendung von frauenspezifischen Aspekten und die „Vernachlässigung des normativen Anspruchs des Konzepts“. Vor diesem Hintergrund sieht sie als zentrale Herausforderung die Überwindung der „Lücke zwischen der Konzeptualisierung und der Implementierung (conceptual/contextual divide) von Sicherheitssektorreform“. Damit Sicherheitssektorreform „einen Beitrag zur dauerhaften Friedenskonsolidierung und Demokratisierung leisten kann“, sei es wichtig, dass sich „die Praxis stärker an normativen Dimensionen orientiert“, und dass Sicherheitssektorreform „nicht als Ergebnis, sondern als langwieriger Prozess begriffen wird, der Raum für die Entwicklung lokaler Initiativen und Mechanismen lässt.“

Aus der Praktiker-Perspektive vermittelte Alexander Mayer-Rieckh, International Center for Transitional Justice, Innsbruck, zunächst einen Überblick, welche Rolle der Umgang mit Vergangenheit bei der Entwicklung und Umsetzung von Maßnahmen der Sicherheitssektorreform spielt. Er identifizierte dabei zwei Hauptansätze: Auf der einen Seite argumentierten die Mainstream-Anhänger, dass die Bearbeitung von Vergangenheit möglichst aus dem Bereich der Sicherheitssektorreform ausgeblendet werden solle, da sie eine Verschwendung von Ressourcen oder gar ein Hindernis für die Reformen darstelle. Auf der anderen Seite betonten die Vertreter einer „justice-sensitiven“ Richtung, dass eine Auseinandersetzung mit dem Erbe der Vergangenheit unbedingt stattfinden muss, wenn Sicherheitssektorreformen nachhaltig gelingen sollen. Mayer-Rieckh führte weiter aus, dass eine justice-sensitive Herangehensweise sowohl bei der Problemerkennung – in dem z. B. bislang marginalisierte Gruppen in den Mittelpunkt gerückt werden – als auch bei Problembearbeitung in den vier zentralen Bereichen accountability, inclusion, legitimacy und coherence einen wichtigen Beitrag leisten kann. Er schloss, dass die Einbeziehung von Vergangenheitsbearbeitung in Maßnahmen der Sicherheitssektorreform keineswegs eine radikale Veränderung der bisherigen Herangehensweisen darstelle, sondern dass ein „justice-sensitiver“ Zugang vielmehr bisherige Mainstream-Ansätze sinnvoll ergänze.

In der anschließenden Debatte diskutierten die Forumsteilnehmenden u. a. über die unterschiedlichen Erfahrungen des Umgangs mit Vergangenheit und institutionellen Reformen in Deutschland und Österreich nach 1945. Darüber hinaus wurde die unterschiedliche Verwendung zentraler Begriffe, welche die Kommunikation zwischen den einzelnen Forschungs- und Praxisfeldern erschwert, kritisch reflektiert. Im Ergebnis stellten die TeilnehmerInnen fest, dass die wesentliche Frage, ob, und wenn ja, in welchem Maße die Bearbeitung von Vergangenheit für den Bereich der Sicherheitssektorreform relevant ist, noch nicht ausreichend erforscht sei. Diesbezüglich werden Studien, welche den konkreten Wirkungszusammenhang zwischen Vergangenheitsbearbeitung und Sicherheitssektorreform untersuchen, als dringend notwendig erachtet.

Forum traditionelle Konfliktlösung und legaler Pluralismus

Ziel des Forums war, im Kontrast zu „westlich-europäisch“ geprägten Konzepten von Konfliktlösung „traditionelle“ Formen der Konfliktaustragung und -aufarbeitung im lokalen Kontext zu beleuchten. Dabei stellte sich im Vorfeld die Frage, inwiefern „moderne“ und „traditionelle“ Rechtssysteme vereinbar sind oder konkurrierend zueinanderstehen, und welchen Erfolg „traditionelle“ Verfahren der Konfliktbearbeitung in einer Nachkriegsgesellschaft haben können.

Rainer Huhle, Nürnberger Menschenrechtszentrum, ging es um die Öffentlichkeit der Gewalttaten und die Anerkennung von Gewaltopfern durch Denkmäler in Peru. Dabei stelle sich die Frage, inwiefern die Rehabilitation von Tätern einerseits und der Schutz der Opferrechte andererseits in Konkurrenz zueinander stünden. Gerd Hankel, Hamburger Institut für Sozialforschung, sprach zum ruandischen Beispiel der traditionellen Tribunale (gacaca), die für die „milderen“ Verbrechens- und Strafkategorien eingerichtet wurden, um des hohen Verhandlungsbedarfs in der Folge des Genozids Herr zu werden. Durch die Öffentlichkeit der Verfahren habe man eine Zusammenführung der Gesellschaft initiieren und die Kultur der Straflosigkeit abschaffen wollen. Barbara Meier, Institut für Ethnologie der Universität Münster, schließlich suchte die Anwendbarkeit des Reinigungsrituals mato oput als eine Möglichkeit der traditionellen Konfliktbearbeitung im Speziellen und der Umgang mit lokalen Ritualen im Prozess der Konfliktbearbeitung in Uganda im Allgemeinen zu hinterfragen.

Die Hauptprobleme „traditioneller“ Konfliktlösungsformen lägen jedoch weniger in der inhaltlichen Konkurrenz zweiter Wertesysteme oder Verfahrenspraxen, vielmehr – wie im Fall von Ruanda – in der Durchführung, der Wirksamkeit der Urteile und der Anerkennung durch die Bevölkerung oder – wie im Fall von Uganda – im fehlenden Verständnis von Konfliktlösungsmechanismen wie Friedensritualen, der mangelhaften Vereinbarung des Rituals mit der reellen Konfliktsituation, der Anregung der Rituale durch Außenstehende, der wenig transparenten Beteiligung der Akteure.

Aus den Schwierigkeiten, „traditionelle“ Konfliktlösungsmechanismen erfolgreich anzuwenden, müsse nicht der Schluss gezogen werden, diese Mechanismen seien insgesamt ungeeignet, die Aufarbeitung von heutigen Kriegen und Völkermorden zu bewältigen. Die Einbeziehung von lokalen Akteuren sei bei der Planung, Durchführung und Bewertung der Verfahren bei traditionellen Konfliktlösungsmechanismen aber von besonderer Bedeutung. Durch ein kontextbezogenes und differenziertes Verständnis von Ritualen und ihrer Legitimierung durch Eigeninitiative könnten „traditionelle“ Formen der Konfliktaufarbeitung ihre gesellschaftliche Relevanz behalten und nachhaltig zur erfolgreichen Aufarbeitung von Konflikten beitragen. Dabei blieb die Frage, wie Rituale/traditionelle Praktiken einerseits wirksam und durch die Gemeinschaft legitimiert durchgeführt und gleichzeitig mit „westlichen“ Konzepten von Konfliktlösung und Gewaltaufarbeitung in Einklang gebracht werden könnten, bisher offen.

Die AFK als Ort der kritischen Friedensforschung

Im teilnehmeroffenen Abendplenum ging es um die Frage, inwieweit die AFK als Ort der kritischen Friedensforschung funktioniert und von außen so gesehen wird. Angestoßen von der Kritik an der Themenwahl für das Jahreskolloquium 2010 entspann sich eine rege Debatte. Dem Vorwurf, das Thema Klima sei nach den entsprechenden UNO-Konferenzen hinlänglich breit diskutiert und eine Beschäftigung bspw. mit Afghanistan entspreche eher den originären Schwerpunkten der AFK, wurde entgegengehalten, dass die Planungen für 2010 einen Ansatz verfolgten, der gezielt den spezifischen Beitrag herausarbeiten wolle, den die (auch kritische) Friedensforschung zu der breiten Debatte zum Klimawandel und seinen Folgen werde leisten können oder sich erst erarbeiten müssen. Hierzu äußerte Thorsten Bonacker, dass es in der AFK auch darum gehen müsse, Themen schon dann aufzugreifen, wenn die Mitglieder der AFK oder die Friedensforschung eigene Arbeiten noch nicht vorlegen können.

Vom Vorstand wurde aufgenommen, AFK-intern über die eigenen Strukturen nachzudenken, etwa über den Modus der Themenwahl der Kolloquien, die bisher der Vorstand festlege. Während einige die Kommunikationsstruktur der AFK kritisierten, bezeichneten andere diese als Anzeichen gesunder Vereinskultur.

Die wachsende Zahl von externen und ausländischen ReferentInnen an den Kolloquien wurde ebenfalls kritisch diskutiert. So befand ein Teil der Anwesenden, dass es nicht zum Format der Tagungen passe, Externe einzuladen, die keine Nähe zur kritischen Friedensforschung erkennen ließen.

Zum Ende hin wurde aus einigen Wortmeldungen deutlich, dass der Reiz der AFK wohl auch darin bestehe, dass verschiedene Sichtweisen auf die und von (kritische/r) Friedensforschung vertreten sind.

Zum aktuellen Umgang mit Diktaturen in Deutschland

Der Gesprächsrunde am Sonntagmorgen wurden die Fragen vorangestellt, wo unsere „Erinnerungslöcher“ heute liegen, wie man sie schließen könne und was wir dazu aus den internationalen Kontexten lernen könnten.

An Heike Mätzing, Historisches Seminar der Universität Braunschweig, ging die Frage, ob Schulbuchforschung und damit auch das Ergebnis neuer Schulbücher ein hinreichendes Mittel sei, um die Erinnerungslöcher zu schließen. Dazu merkte Mätzing an, dass es derzeit ca. 300 zugelassene Schulbücher gebe, also eine sehr große Auswahl. Was bei den Schülern ankomme, wisse man allerdings nicht, da kaum Wirkungsforschung betrieben werde. Die Geschichtskultur habe drei Dimensionen, die ästhetische, die politische und die gesellschaftliche. Schulbücher gehörten in die Politik einerseits und in die Wissenschaft andererseits. In die Schulbücher aufgenommen würden letztlich diejenigen Geschichtsbilder, die gesellschaftlich konsensfähig seien. Somit hätten sie auch immer eine selbstreferenzielle Dimension.

Eckart Dietzfelbinger vom Nürnberger Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände wurde nach dem Spannungsverhältnis von Erinnern/Gedenken und der Existenz von neonazistischen Gruppen in der Stadt gefragt. Seine Antwort zielte darauf zu betonen, dass Gedächtnis nichts Statisches sei, was man am Umgang der Stadt Nürnberg mit ihrer Vergangenheit sehr gut beobachten könne: Auf eine Phase des Schweigens und Verdrängens sei eine Zeit des defensiven Erinnerns gefolgt. Seit 1995 praktiziere man nun eine offensive Politik der Aufarbeitung und des Gedenkens.

Lothar Tautz vom Verein „Gegen Vergessen – Für Demokratie“ Magdeburg befand auf die Frage, ob die Aufarbeitung der SED-Diktatur besser sei als die der Nazi-Diktatur, dass man immer neue Fehler mache. So fehle in der Aufarbeitung der SED-Diktatur der Aspekt der Gemeinsamkeit von Ost und West. Zwar habe es in der DDR keine kritische Friedensforschung gegeben, dennoch hätten sich viele Menschen um das Thema bemüht. Eine gemeinsame Geschichtsaufarbeitung gebe es aber bisher nicht.

Danach befragt, wie die Bundeszentrale für politische Bildung ihrer Aufgabe gerecht werde, das ganze Land zu erreichen, äußerte Harald Geiss, dass man immer ein großes und aktuelles Angebot an Publikationen anbiete, in denen wissenschaftliche Erkenntnisse für die verschiedenen Gruppen „herunter gebrochen“ würden. Das Problem bestehe vor allem darin, diejenigen Personen zu erreichen, die nicht „geborene Interessierte“ seien.

Lothar Tautz’ Aussage zur mangelnden Gemeinsamkeit in der Aufarbeitung der SED-Diktatur unterstützend, merkte Heike Mätzing an, dass es einen Kahlschlag in der Historiologie der ehemaligen DDR gegeben habe, was zur Folge habe, dass z. B. in den Schulbüchern ausschließlich die westdeutsche Perspektive zum Ausdruck komme. Weiter deutete sie auf ein methodologisches Problem hin, das sich ergebe, wenn man Zweistaatlichkeit schreiben möchte und von zwei verschiedenen Gesellschaftssystemen ausgehe. Zum Aspekt der Gedächtnislöcher wies Mätzing weiter darauf hin, dass man mit der NS-Vergangenheit und der DDR-Vergangenheit zwei nationale Identifikationspunkte geschaffen habe, die mit Blick auf aktuelle Entwicklungen (Stichwort: Migrationshintergrund) nicht mehr oder zumindest immer schwerer vermittelbar werden.

Anschließend wurde aus dem Plenum angemerkt, dass ein mangelndes Bewusstsein dafür existiere, dass es eine „tolle“ Revolution in Deutschland gegeben habe, was Lothar Tautz unterstrich, indem er ausführte, dass es große Defizite in diesem eigentlich sehr positiven Bereich gebe. Die Aufarbeitung konzentriere sich vor allem auf die Täter-Verantwortlichkeit, wohingegen der Weg vieler Bürger zur friedlichen Revolution mangelhaft untersucht sei. Woraufhin Heike Mätzing die Frage in den Raum stellte, ob dies möglicherweise mit einer Angst der Deutschen vor Revolutionen oder auch mit einer gewissen Siegermentalität zu tun haben könne. Harald Geiss meinte in dem Zusammenhang, dass Widerstand – auch im Zusammenhang mit der NS-Zeit – unter Wert verkauft werde. Dirk Rupnow konstatierte hierzu, dass Erinnerungskultur immer fragmentiert und vielschichtig und damit eben auch ambivalent sei; auch Wissenschaft sei nicht erinnerungsfrei.

Christine Schweitzer und Heike Mätzing räsonierten dann über die Frage, wann und wie man die „normalen Bürger“ in die Erinnerungsarbeit einbinden könne. Während Mätzing betonte, dass verordnete Erinnerung im pluralen Staat nicht möglich sei, machte Schweitzer deutlich, dass es ihr vielmehr um die Idee eines gesellschaftlichen Dialogs gehe.

In der Abschlussrunde sagte Lothar Tautz, dass es keine Befriedung der Bevölkerung in den Gebieten der ehemaligen DDR gebe und die Friedensforschung auf die Voraussetzungen sehen solle, unter denen die Wiedervereinigung geschehen sei und welche Konsequenzen das habe. Mätzing nutzte die Gelegenheit, um auf die Ausstellung „20 Jahre Mauerfall“ hinzuweisen und Geiss attestierte den Deutschen im Vergleich zu anderen Ländern ein hohes Niveau in der Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit. Dietzfelbinger betonte, dass es zwischen offiziellem und privatem Erinnern große Unterschiede gebe. Ferner sei die Erinnerungslandschaft so ausgeprägt wie nie zuvor. Dem gegenüber stehe allerdings ein Verfall der deutschen politischen Kultur (Stichwort: aktueller Rechtsextremismus), dem man aktiv und entschiedener entgegenwirken müsse.

Tagungsresümee

Geschlossen wurde die Tagung mit drei Statements von Teilnehmerinnen. Madeleine Hagemeister zog insgesamt ein sehr positives Fazit. Besonders gefallen habe ihr die spannende Mischung aus theoretisch-abstrakten und praktisch-fallorientierten Elementen des anspruchsvollen Programms. Die Herangehensweise bezeichnete sie als sehr komplex, sodass es dauere, bis sich all das Vielfältige sortiere. In konzeptioneller Hinsicht überzeugend fand Madeleine Hagemeister, dass die Erfahrungen in Deutschland als Bogen am Anfang und am Schluss platziert waren, wobei sie auch das besondere Flair durch die internationale Beteiligung lobend erwähnte. Aus den Foren sei deutlich geworden, dass sich die Kontexte wandeln, zumal man mit Verallgemeinerungen vorsichtig sein müsse, weil die Begriffe nicht einheitlich definiert würden.

Annemarie Müller aus Dresden befand die Tagung aus der Sicht der Praktikerin ebenfalls für sehr gelungen. Durch die Mischung aus Theorie und Praxis und vor allem die ausländischen ReferentInnen habe sie sehr viel gelernt. Das Thema sei sehr schwierig und die Tagung habe für Begrifflichkeiten sensibilisiert und deutlich gemacht, dass erst der differenzierte Blick es wieder möglich macht, damit umzugehen. „Vergebung ist nicht selbstverständlich“, „die wahren Opfer sind tot“, „die Notwendigkeit von Gedächtnislöchern“, etc. seien Schlagworte, die mit der Friedensforschung und dem „nachhaltig Frieden bauen“ eng verbunden sind. Es stellten sich aber auch Fragen wie: Soll man die Opfersicht als Fokus nehmen? Wo sind die Grenzen der Friedensforschung? Wo muss sich Friedensforschung von anderen Wissenschaften abgrenzen? Was ist unser Ansatz? Der Abbau von Gewalt, der Erhalt des Friedens, seine Gefährdung? Klar geworden sei, dass man sich mit der Ost-West-Geschichte in Deutschland intensiv beschäftigen müsse. Es gelte, nach Ansätzen zu suchen, die beiderseitig helfen. Es stelle sich aber auch die Frage, wie man Nicht-Vergeben aushalten könne. Zudem müsse auch im deutschen Kontext vorsichtiger mit dem Begriff der Versöhnung umgegangen werden. Außerdem stellte Frau Müller die Frage, wie man Gesten und Riten der Versöhnung gestalten könne. Zum Schluss merkte sie an, dass man viel von den nicht-deutschen FriedensforscherInnen lernen könne, und fragte, warum Nürnberg als Konferenzort gewählt wurde, wenn man nicht an die einschlägigen Orte gehe.

Sabine Jaberg, Führungsakademie der Bundeswehr Hamburg, konzentrierte sich in ihren Ausführungen auf den Aspekt der Transitional Justice und begann mit dem Befund, dass das Konzept sich nach ihrem Dafürhalten in „einem vorwissenschaftlichen, einem praktischen Stadium“ befinde. Somit schreie es nach „Verwissenschaftlichung“, wenngleich es sich gerade hier als besonders sperrig erweise. Dies liege an der „Vielschichtigkeit, Komplexität und Widersprüchlichkeit des Konzepts“, aber auch an der immensen „Bedeutung des Singulären und seines spezifischen Kontexts“. Zudem handele es sich vor allem um ein Konzept der Extreme. Aus wissenschaftlicher Perspektive ergäben sich demnach zwei Alternativen: Entweder man kapituliere „vor den holistischen Anforderungen“ und bearbeite „das Thema weiterhin in wissenschaftlichen Parzellen“. Oder man unternehme „den Versuch, das Gesamtphänomen wissenschaftlich in den Griff zu bekommen“. Jaberg plädierte für die zweite Variante und zählte in der Folge die Dimensionen auf, die in dem Fall zu berücksichtigen seien: Theorie, Philosophie, Konzeptionelles, Analyse, Empirie, Praxeologie, Evaluations- und Wirkungsforschung.

Transitional Justice stelle ein „ergiebiges Forschungsfeld für alle Spielarten der Friedensforschung“ dar, es sei „nicht das einzige, wohl auch nicht das zentrale Thema der Friedensforschung“, aber es sei wichtig und „wie geschaffen für ein inter- oder doch zumindest multidisziplinäres Projekt“. So könnten unterschiedliche Wissenschaften eingebunden werden, „die friedensrelevante Befunde zutage befördern“, sie jedoch üblicherweise nicht bereits auf den Frieden hin reflektieren. Das Ideal sei dabei naturgemäß die Synthese der Ergebnisse, realistisch zu erwarten stehe hingegen „die Aufklärung von Differenzen, Komplexitäten und Widersprüchlichkeiten“. Friedensforschung, so Jaberg abschließend, sei genau das: „Dissenswissenschaft in aufklärerischer Absicht.“

 

 
Zum Rückblick hier das zuletzt aktuelle Programm und die Abstracts der ReferentInnen der Gesprächsforen zu ihren Debattenbeiträgen.
 
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