2007
Ambivalenzen
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Stand: 28.2.2010

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Normativität vs. Wertneutralität:
Ambivalenzen in der Friedens- und Konfliktforschung

Bericht: Vera Städing

Jahreskolloquium der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung e.V. (AFK) vom 23. bis 25. Februar 2007 in der Evangelischen Tagungsstätte Haus Ortlohn in Iserlohn, in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Akademie Iserlohn und gefördert aus Mitteln der Berghof Stiftung für Konfliktforschung Berlin.

 

Zu einem „Nachdenken über das, was wir als Friedens- und Konfliktforscher tun“ lud Peter Schlotter (Universität Heidelberg) in seiner Eröffnungsrede die Teilnehmer und Teilnehmerinnen des diesjährigen Kolloquiums ein. Braucht die Friedensforschung den normativen  Anspruch (bis hin zur Entwicklung friedenspolitischer Utopien) oder muss sie ihren Gegenstand von Krieg und Frieden distanziert untersuchen, damit sie dem Anspruch der Wissenschaftlichkeit genügt? Wenn die Friedens- und Konfliktforschung sich aber nicht nur als Wissenschaft bewähren soll, sondern auch Impuls- und Ratgeberin sein will, wie ist dann mit der notwendigen Zuspitzung für politische Tagesauseinandersetzungen umzugehen und in welcher Form soll die Einmischung in den gesellschaftlichen Diskurs erfolgen? Rund hundert Tagungsteilnehmer und -teilnehmerinnen aus Wissenschaft und friedenspolitischer Praxis erörterten unter dem Spannungsbogen von Normativität versus Wertneutralität das Selbstverständnis der Friedens- und Konfliktforschung als wissenschaftliche Disziplin, um die Ambivalenzen ihrer Wissenschaft im Prozess der Wissensgenerierung, der Wissensverarbeitung, der Wissensdiffusion und der Wissensverwendung aufzuspüren.

Hubert Knoblauch (Technische Universität, Berlin) eröffnete den inhaltlichen Teil des Kolloquiums mit einer allgemeinen Einführung in die Ambivalenzen der Wissensgenerierung in den Sozialwissenschaften. Aus wissenssoziologischer Sicht sei jedes Wissen sozial und damit normativ, auch das wissenschaftliche. Allerdings zeichne sich das wissenschaftliche Wissen durch sein auf Wahrheit ausgerichtetes Erkennen und durch seine spezifischen Erkenntnispraktiken (Methodologie) gegenüber anderen gesellschaftlichen Wertsphären, wie der Religion, der Familie oder der Politik, aus. Im Zuge der Herausbildung der Wissensgesellschaft avanciere nun das wissenschaftliche Wissen zur Wissensautorität. Diese Entwicklung führe auf der einen Seite zur Verwissenschaftlichung anderer gesellschaftlicher Wertsphären und auf der anderen Seite zur Gleichschaltung aller gesellschaftlichen Wissensproduktionen zu Gunsten der wissenschaftlichen Methode. Die Wissensgesellschaft, in der eine so genannte „Entgrenzung des Wissens“ eindeutig zu beobachten sei, stelle somit die größte Gefahr für die Wissenschaft dar, als Instanz einer spezifischen Wissensproduktion fortzubestehen. Eine bewusste Reflexion über die wissenschaftsspezifische Wissenskultur könne dieser Tendenz entgegenwirken, allerdings sei dies insbesondere in den Sozialwissenschaften bisher ausgeblieben.

In der anschließenden Plenardebatte wurde kritisch hinterfragt, ob eine Differenzbetonung der Wissenschaft gegenüber anderen gesellschaftlichen Wertsphären überhaupt wünschenswert sei. Denn eine „Entgrenzung des Wissens“ könne durchaus auch die produktive Adaption an die heutigen gesellschaftlichen Realitäten und Probleme darstellen. Vielmehr müsse daher geklärt werden, wie die Wissenschaft in diesem Kontext noch der Weber’schen Forderung nach „Werturteilsfreiheit“ nachkommen könne. Ferner wurde festgestellt, dass durch die vermehrt aus der Praxis kommenden Forderungen an die Wissenschaft, wissenschaftsspezifische Erkenntnisinteressen häufig an den Rand der Forschungs-Agenden gedrängt würden. Dies habe zur Folge, dass die gesellschaftliche Wertschätzung der Wissenschaft als soziale Institution der Wissensproduktion zwar steige, gleichzeitig aber die Spezifität der wissenschaftlichen Wissensgenerierung gefährde.

Die wissenschaftsspezifischen Ambivalenzen der Friedens- und Konfliktforschung wurden anschließend in Form eines Streitgesprächs unter dem Thema „Normativität vs. Wertneutralität“ herausgearbeitet. Werner Ruf (Universität Kassel) sprach sich für eine normative Ausrichtung der Friedensforschung aus. Friedensforscher sollen sich nicht scheuen, Friedensutopien zu entwickeln und für eine zivile Konfliktbearbeitung einzutreten, denn eine objektive Distanzierung vom Untersuchungsgegenstand sei in den Sozialwissenschaften genuin nicht möglich. Es gelte vielmehr, die eigene Normativität in Form von Friedensperspektiven offen zu legen. Thorsten Bonacker (Universität Marburg) machte sich hingegen für eine wertneutrale Ausrichtung der Friedens- und Konfliktforschung stark. Er betonte, dass eine gewisse Distanz zum Untersuchungsgegenstand nicht nur auf Grund der spezifisch wissenschaftlichen Methode unabdingbar sei, sondern auch, weil erst eine wertneutrale Herangehensweise einen uneingeschränkten Blick auf Krieg, Frieden, Gewalt und Konflikt ermögliche. Normative Schlussfolgerungen ordnete er dem wissenschaftlichen Prozess als eigenständige Erkenntnissphäre nach. Um eine pluralistische Deutung der Forschungsergebnisse zuzulassen, sei in diesem Stadium der Wissensverarbeitung eine normative Positionierung des Friedensforschers durchaus wünschenswert.

Den nächsten Kolloquiumstag eröffnete Lothar Brock (Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, Frankfurt/M.) mit einem Vortrag über die Ambivalenz von friedenswissenschaftlichen Bedeutungsgehalten und ihrer Rückwirkung auf die Wissenschaft am Beispiel des Sicherheitsdiskurses. Die Einführung des erweiterten Sicherheitsbegriffes zu Beginn der 1980er Jahre habe innerhalb der Friedenswissenschaft eine erfolgreiche Verständigung zwischen Pazifisten und Bellizisten signalisiert. Diese stütze sich auf die Einsicht, dass man sich mit militärischen und nicht-militärischen Bedrohungen von Sicherheit sowie mit militärischen und nicht-militärischen Mitteln zu ihrer Erhaltung befassen müsse. Wissenschaftlich bedeute diese Perspektivenerweiterung durchaus eine Annäherung an die Bedingungen für die Herstellung von Frieden; in der politischen Praxis sei dies allerdings nicht zu erkennen. Durch die wissenschaftliche Konstatierung von multiplen Bedrohungspotenzialen habe sich in der Praxis eher die Erwartung eines Krieges manifestiert, denn die Aussicht auf nachhaltigen Frieden. Dies wiederum habe zur Nutzung des erweiterten Sicherheitsbegriffs als Legitimationsmuster für die Einschränkung bürgerlicher Grundrechte, für die Rechtfertigung von Interventionen sowie präventiver Kriegsführung geführt. Brock appellierte an die Friedensforschung, diese interessengeleitete Nutzung friedenswissenschaftlicher Erkenntnisse wahrzunehmen und über die Art der Wissensdiffusion von Forschungsergebnissen selbstkritisch zu reflektieren.

In der sich anschließenden Diskussion wurden zwei in der Praxis zu beobachtende Folgen der Erweiterung des Sicherheitsbegriffes diskutiert. Zum einen habe diese Entwicklung zu so genannten „Double-Standard“-Interventionen geführt. Diese zeichneten sich dadurch aus, dass sie mit der Verletzung humanitärer Prinzipien innerhalb eines Staates begründet würden, und dass sie gleichzeitig zur Wiederherstellung dieser Prinzipien eine militärische Vorgehensweise wählten. Zum anderen sei die Zusammenarbeit von zivilen und militärischen Akteuren in Rahmen von Wiederaufbaumaßnahmen als Konsequenz der Einführung des erweiterten Sicherheitsbegriffes zu bewerten. Inwiefern diese Art von Zusammenarbeit die zivile Konfliktbearbeitung stärke, sei hinsichtlich einer fortschreitenden Aufgabenerweiterung des Militärs im Bereich von Wiederaufbaumaßnahmen allerdings äußerst fraglich. Im Lichte dieser Entwicklungen wurde dann nach den Konsequenzen für die Friedensforschung gefragt: Sei eine Rückbesinnung auf den Galtung’schen Sicherheitsbegriff die adäquate Antwort? Oder stünde nunmehr eine Auswertung der ergriffenen Maßnahmen hinsichtlich ihres Beitrags zur Herstellung von gesellschaftlichem Frieden an?

Im Anschluss beschäftigten sich die Teilnehmer und Teilnehmerinnen in Arbeitsgruppen näher gehend mit Ambivalenzen wissenschaftlicher Wissensgenerierung und praktischer Wissensverwendung anhand von ausgewählten Problemstellungen aus der Friedens- und Konfliktforschung.

 

Arbeitsgruppe 1:
Der Demokratische Frieden und seine politische Instrumentalisierung

Anna Geis (Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, Frankfurt/M.) widmete sich in ihrem Vortrag dem „rätselhaften Doppelbefund des Demokratischen Friedens“. Das Theorem nehme einerseits an, dass sich Demokratien auf Grund ihrer normativen Orientierung friedfertig verhielten, und konstatiere gleichzeitig, dass diese Wertorientierung nur gegenüber demokratischen, nicht aber gegenüber nicht-demokratischen Staaten zum Tragen komme. Diese theoretischen Widersprüche löste Geis auf, indem sie einen Zusammenhang zwischen dem ersten Befund und dem zweiten Befund herstellte. Sie argumentierte, dass die demokratischen Regierungen sich des ersten Befundes bemächtigt hätten, indem sie ihn in ein Programm zur globalen Demokratieförderung übersetzten. Daraus wiederum würde eine Legitimation für das eigene Kriegshandeln gegenüber Nicht-Demokratien abgeleitet. Das Moment der Instrumentalisierung führe somit zum zweiten Befund und erkläre schließlich das Zustandekommen des Doppelbefundes. In Anbetracht dessen liege es nun in der Verantwortung der Wissenschaft, darauf hinzuwirken, das „Loblied der Demokratie nicht ganz so laut zu singen, sondern die Neigung westlicher Außenpolitik zu Überheblichkeit und doppelten Standards immer wieder anzusprechen“.

Im Anschluss diskutierte Lutz Schrader (Fernuniversität Hagen) die liberale Theorie des Demokratischen Friedens. In der fortschreitenden Affirmation und Universalisierung der liberalen Werte und des liberalen Weltbildes sah er die größte Gefahr für das wissenschaftliche Theorem. Diese Version des Demokratischen Friedens leiste Vorschub, das Vorurteil einer unüberbrückbaren Andersartigkeit und Unvereinbarkeit von demokratischen und autokratischen Staaten zu bestätigen sowie die Idealisierung eines Weltbildes demokratischer Staaten zu verfestigen. In der Offenlegung der impliziten Wertedimension der liberalen Theorie liege deshalb der Schlüssel für eine nachhaltig friedensförderliche Ausgestaltung der Theoriearbeit im Zusammenhang von Demokratie und Politik. Dies führe zu einer Erleichterung der Grenzziehung zwischen Theorie und Ideologie, wodurch Fälle politischer Instrumentalisierung von Wissenstheoremen leichter offen gelegt werden könnten.

Jürgen Wilzewski (Technische Universität Kaiserslautern) referierte anschließend über die Verwendung des Theorems innerhalb der US-amerikanischen Begründungsrhetorik für ihre Außen- und Sicherheitspolitik. Militärische Interventionen erführen hier ihre gesellschaftliche Legitimation vorwiegend durch einen Verweis auf die Vision einer „global democratic world“ sowie durch die Erinnerung an das amerikanische Selbstverständnis, Vorreiter einer solchen Weltordnung sein zu wollen. Wilzewski wies darauf hin, dass die rhetorische Wirksamkeit dieser Vision aber schlagartig nachlasse, sobald die Öffentlichkeit im Verlauf eines Kriegsgeschehens realisiere, dass die Administration diese Begründung offensichtlich für andere Zwecke missbrauche. Wilzewski stellte fest, dass die Erklärungspotenziale kollektiver Identitäten und politischer Rhetorik für gewaltsames außenpolitisches Verhalten von Demokratien noch wenig erforscht seien. Er schlug vor, diese Forschungslücke durch eine weiter gefasste Theorie zu schließen, die Erkenntnisse aus der Außenpolitikforschung einbeziehe.

Die Debatten in der Arbeitsgruppe führten zu der Annahme, dass die Ansiedlung des Wissenstheorems innerhalb der Wissenschaftsdisziplin der Internationalen Beziehungen zu kurz greife und dadurch wichtige Erklärungspotenziale vernachlässige. Vielmehr sei eine interdisziplinäre Herangehensweise wünschenswert, die auch Erkenntnisse beispielsweise aus der Sozialpsychologie oder Außenpolitikforschung mit einschließe. Ferner schrieben die Arbeitsgruppenteilnehmer und -teilnehmerinnen der Wissenschaft die Verantwortung zu, die Öffentlichkeit über die Ambivalenzen des Demokratischen Friedens aufzuklären und sie auf die Möglichkeit einer politischen Instrumentalisierung dieses Wissenstheorems hinzuweisen.

 

Arbeitsgruppe 2:
Gerechtigkeit – (k)ein Weg zum Frieden?

Susanne Buckley-Zistel (Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, Frankfurt/M.) diskutierte in ihrem Vortrag die Leistungsfähigkeit einer Übergangsjustiz (Transitional Justice) im Hinblick auf die Beförderung von Frieden und Gerechtigkeit in Nachkriegsgesellschaften. Erklärtes Ziel der Etablierung einer Übergangsjustiz sei es, durch Aufarbeitung der gewaltsamen Vergangenheit den Übergang zu einer friedlichen Zukunft in einer Nachkriegsgesellschaft zu erleichtern. Dies könne sowohl auf strafrechtlicher als auch symbolischer Ebene erfolgen, also durch das Schaffen von Gerechtigkeit oder das Finden von Wahrheit. Buckley-Zistel wies darauf hin, dass die Konzepte Gerechtigkeit und Wahrheit auf den ersten Blick zwar als universell und wertneutral erscheinen mögen, sie aber dennoch immer in Abhängigkeit mit dem politischen, sozialen und kulturellen Kontext der betroffenen Nachkriegsgesellschaft stünden. Gerechtigkeit und Wahrheit seien also nicht per se friedensfördernde Konzepte, sondern müssten vielmehr unter Beachtung der jeweils verlaufenden Konfliktlinien und der jeweils beteiligten Interessensgruppen erst zu solchen gemacht werden.

Martin Quack (Universität Köln) bot in seinem Referat einen Einblick in die Praxis ziviler Konfliktbearbeitung und akteursspezifischer Definitionen von Gerechtigkeit. Die deutsche Bundesregierung habe im Jahre 1999 den Zivilen Friedensdienst (ZFD) ins Leben gerufen, um Nachkriegsgesellschaften in ihrem Bestreben nach Frieden mit externen Fachkräften zu unterstützen. Der ZFD sehe sich einer gewaltfreien Konfliktbearbeitung sowie dem Verständnis von Gerechtigkeit als Allparteilichkeit verpflichtet. Dieses Verständnis von Gerechtigkeit beruhe auf Erkenntnissen der Sozialpsychologie. In einem ersten Schritt versuche sich die Fachkraft in die jeweilige Konfliktpartei einzufühlen, um dann in einem zweiten Schritt Strategien zu entwickeln, die unter Beachtung des Konfliktverlaufs und in Wahrnehmung der involvierten Interessensgruppen zu einer nachhaltigen Friedensordnung führen. Man versuche also, im Zusammenschluss mit den Interessengruppen Gerechtigkeit und schließlich Frieden herzustellen. Quack wies darauf hin, dass die Wirksamkeit dieses Ansatzes allerdings noch nicht hinreichend wissenschaftlich ausgewertet worden sei.

Michael Opielka (Universität Jena) setzte sich in seinem Vortrag mit der Frage auseinander, inwiefern die Etablierung eines bestimmten Regimetyps in Nachkriegsgesellschaften Einfluss auf den Verlauf des Friedensprozesses nehme. Als Beispiel diente ihm hierzu der durch die Amerikaner militärisch herbeigeführte Regimewechsel im Irak. Der Referent zeigte auf, dass die Etablierung eines liberalen Wohlfahrtsregimes für ein sozialistisches Wohlfahrtsregime zu erheblichen Problemen und Konfliktpotenzialen geführt und den Friedensprozess maßgeblich behindert habe.

In der abschließenden Diskussion widmeten sich die Arbeitsgruppenteilnehmer und -teilnehmerinnen der Normativität von Gerechtigkeits- und Wahrheitskonzepten. Ferner wurde erörtert, ob Gerechtigkeit und Frieden nicht als aufeinander aufbauende Prozesse gedacht werden müssten. Schließlich diene Gerechtigkeit häufig als Gewaltnachsorgekonzept, um schließlich in eine Friedensordnung zu münden.

 

Arbeitsgruppe 3:
Ambivalenz des Heiligen – Religionen und ihre Gewaltpotenziale

Ausgehend von den Forschungsergebnissen der quantitativen Kriegsursachenforschung, wonach religiöse Unterschiede selten Ursachen für Konflikte darstellen und hingegen die Nutzung religiöser Symbolik durch politische Eliten eine Beschleunigung des Konfliktverlaufs bewirke, setzte sich eingangs Alexander de Juan (Universität Tübingen) mit den Formen politischer Instrumentalisierung von Religion und deren Begrenzung auseinander. De Juan legte dar, dass politische Eliten entweder die Deutungsautorität über religiöse Botschaften für sich deklarierten oder eine Kooperation mit religiösen Führern eingehen könnten, um Religion für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Um eine solche politische Instrumentalisierung zu verhindern, sei es deshalb notwendig, einen aufgeklärten gesellschaftlichen Diskurs über die Interpretationsoffenheit von religiösen Traditionen zu führen sowie einen gesellschaftlichen Referenzrahmen zu etablieren, der isolierte religiöse Deutungen sichtbar mache. Auf diese Problematik richte sich das von ihm verfolgte Forschungsprojekt.

Mathias Hildebrandt (Universität Erlangen) referierte anschließend über den Stellenwert und die Bedeutung von Gewalt in den Weltreligionen. Er konstatierte, dass jede Religion sowohl Friedens- als auch Gewaltpotenziale aufweise. Bei der Analyse politisch-religiöser Konflikte müssten deshalb nicht nur ausschließlich die inneren Strukturen politischer Theologien berücksichtigt werden, sondern auch die äußeren sozialen, ökonomischen und politischen Umstände der Konflikte. Erst durch diese Zwei-Ebenen-Analyse sei es möglich, die Ursachen für Gewaltbereitschaft umfassend zu identifizieren.

Volkhard Krech (Ruhr Universität Bochum) referierte über die politische Instrumentalisierung von Religion als Gewalt legitimierende Instanz. Insbesondere in Situationen, in denen sich politische Eliten ihrer gesellschaftlichen Machtstellung und der Legitimität ihrer gewalttätigen Handlungen nicht sicher seien, würden sie sich der Religion als Instanz der Rechtfertigung zuwenden. Krech wies darauf hin, dass Religion an sich sowohl Friedens- als auch Konfliktpotenziale aufweise. Dennoch entfalte sich Religion erst zu einer gewaltlegitimierenden Instanz, wenn sie politisch zweckentfremdet werde.

Basierend auf der wissenschaftlichen Erkenntnis, dass Religion weder per se friedens- noch konfliktfördernd ist, wurde in der sich anschließenden Diskussion überlegt, wie die friedensförderlichen Potenziale von Religion zur Herstellung von gesellschaftlichem Frieden genutzt werden könnten. Ferner wurden Möglichkeiten zur Verhinderung einer politischen Instrumentalisierung von Religion diskutiert.

 

Arbeitsgruppe 4:
Mehr Entwicklung – Voraussetzung für Frieden?

Bianca Többe-Gonçalves (München) eröffnete die Arbeitsgruppe mit einem Vortrag über Entwicklungskonzepte und ihrer Erklärungskraft für tatsächliche Entwicklungsprozesse. Anhand eines Rückblicks auf unterschiedliche Entwicklungsprozesse stellte sie fest, dass die industrielle Revolution durch endogene Faktoren bedingt wurde, während alle ihr folgenden „Entwicklungen“ durch exogene Einwirkungen erfolgten. Die industrielle Revolution sei als Initialfaktor für die Begründung von Entwicklungstheorien zu verstehen. Diese entpuppten sich als äußerst ideologisch und könnten somit keinen objektiven Blick auf den Verlauf von Entwicklungsprozessen geben. Auf Grund dessen appellierte die Referentin, dass es Aufgabe der Wissenschaft sei, Entwicklungsprozesse ideologie-frei zu untersuchen. Schließlich habe sie sich einem wertneutralen Blick auf die soziale Realität verpflichtet und sich eine dementsprechende Methodik erarbeitet.

Jeanette Schade (Institut für Entwicklung und Frieden, Duisburg) referierte anschließend über den Beitrag von „Nation-Building“-Maßnahmen zur Herstellung von Frieden in Nachkriegsgesellschaften. Diese Maßnahmen seien im Zuge zunehmender fragiler Staatlichkeit und innerstaatlicher Konflikte nach Ende des Kalten Krieges zu wichtigen Instrumenten des internationalen Konfliktmanagements geworden. „Nation-Building“-Maßnahmen hätten zum Ziel, eine stabile Regierung und eine friedensfördernde Gesellschaftsordnung in diesen Staaten zu etablieren. Deshalb umfassten sie den Aufbau von Staatlichkeit in drei zentralen Bereichen: Sicherheit, Bereitstellung von Infrastruktur und anderen öffentlichen Gütern sowie politische Partizipation. Schade wies darauf hin, dass die Entwicklung des jeweiligen Landes somit vorrangig unter sicherheitspolitischen Aspekten verstanden werde. Dies habe zur Folge, dass entwicklungspolitische Initiativen im Zuge von „Nation-Building“-Einsätzen nicht immer zur erfolgreichen Etablierung von Frieden führten. Vielmehr entstünden häufig Konflikte zwischen den Interessen der Geberstaaten und der lokalen Akteure, die das betreffende Land zunächst in eine instabile Lage versetzten. Entwicklung und Frieden könnten somit nicht unhinterfragt als aufeinander aufbauende Prozesse verstanden werden.

Claudia von Braunmühl (Universität Bielefeld) widmete sich in ihrem Vortrag der Wirksamkeit von „Gender-Mainstreaming“-Maßnahmen hinsichtlich einer gleichberechtigten Teilhabe von Männern und Frauen am Entwicklungsprozess in der jeweiligen Gesellschaft. Von Braunmühl definierte „Gender-Mainstreaming“ als eine „Institutionalisierung von Frauen- und Geschlechterpolitik“. Im Bereich der Entwicklungspolitik habe das Konzept dazu geführt, geschlechtsspezifische Benachteiligungen von Frauen und Männern im gesellschaftlichen Entwicklungsprozess offen zu legen und adäquate Maßnahmen zur Nivellierung dieser Ungleichheit zu entwickeln. Allerdings hätten Frauenorganisationen aus der südlichen Hemisphäre immer wieder kritisiert, dass die Vorstellung von gesellschaftlicher Geschlechtergerechtigkeit zutiefst westlich geprägt sei und häufig nicht mit den vorherrschenden Traditionen der Entwicklungsländer zu vereinen sei. Des Weiteren habe das Konzept des „Gender-Mainstreaming“ häufig dazu geführt, Frauen im gesellschaftlichen Entwicklungsprozess ausschließlich als Opfer wahrzunehmen. Von Braunmühl konstatierte, dass das Konzept des „Gender-Mainstreaming“ somit nicht nur emanzipatorisches, sondern auch repressives Potenzial beinhalte.

In der Diskussion ihrer Thesen wurde der Aspekt der Normativität von Entwicklungstheorien aufgegriffen und hinterfragt, ob eine Wertneutralität gegenüber der Bewertung von Entwicklung tatsächlich durch eine wissenschaftliche Methode aufgehoben werden könne. Des Weiteren wurde betont, dass der Austausch über Konzepte von Entwicklung und die Bedeutung von Geschlechtergerechtigkeit zwischen den Entwicklungsländern und den Geberstaaten intensiviert werden müsste, um entwicklungspolitische Projekte effektiver zu machen. Ferner herrschte Einigkeit darüber, dass die Gleichsetzung von Entwicklung mit (nachhaltigem) Frieden in jedem Falle kritisch hinterfragt werden müsse.

 

Arbeitsgruppe 5:
Von der Rüstung zur Abrüstung zur Aufrüstung oder Rüstungsdynamiken zwischen Abrüstung und Aufrüstung

Götz Neuneck (Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik, Universität Hamburg) eröffnete die Arbeitsgruppe mit einem Vortrag über die Ambivalenzen des Wissens über Abschreckung, Rüstungskontrolle und Frieden. Die strukturellen Veränderungen des internationalen Systems, die fortschreitende Rüstungsdynamik und -technologie sowie die Erblasten des Kalten Krieges hätten zur Erosion der bestehenden Rüstungskontrollarchitektur beigetragen. In Anbetracht dessen, dass sich die Rüstungsausgaben nach ersten Abrüstungsmaßnahmen nach Beendigung des Ost-West-Konfliktes heutzutage wieder dem Stand von 1989 annäherten, könne konstatiert werden, dass die Rüstungskontrollarchitektur Rüstungsdynamiken in ihrem Kern nicht habe eindämmen können. Neuneck sah insbesondere die Friedens- und Konfliktforschung mit ihrer normativen Zielperspektive der Kriegsverhütung und der friedlichen Konfliktbeilegung aufgerufen, alternative Handlungsoptionen zu Rüstungswettläufen und dem Besitz von Massenvernichtungswaffen zu erarbeiten.

Die Arbeitsgruppenteilnehmer und -teilnehmerinnen bestätigten den Befund der andauernden Rüstungsdynamiken. Es wurde zudem darauf hingewiesen, dass bei der heutigen Aufrüstung die Informationstechnologie eine besonders wichtige Rolle spiele.

Jutta Bakonyi (Max-Planck-Institut, Halle/Saale) beschäftigte sich in ihrem anschließenden Vortrag mit dem Wissen um die „neuen Kriege“. Sie stellte fest, dass die wissenschaftliche Konzeption der Neuen Kriege weniger auf den lokalen Realitäten und empirischen Befunden beruhe, sondern vielmehr auf westlichen Wertvorstellungen und normativen Idealen. In diesem Zusammenhang kreuzten sich normative, sicherheitspolitische und entwicklungspolitische Diskurse. Diese Entwicklung leiste einem neuen Humanitarismus in der Entwicklungspolitik Vorschub. Dieser äußere sich darin, dass Veränderungen von Verhaltensweisen und lokal geltenden Werten und Idealen eher im Mittelpunkt von entwicklungspolitischen Ansätzen stünden als die Förderung von wirtschaftlicher Entwicklung.

In der Diskussion wurde hauptsächlich die neue Rolle der Entwicklungspolitik hinterfragt. So sei zu beobachten, dass Entwicklungspolitik früher als Konzept für Maßnahmen gegen die Verelendung der Dritten Welt gegolten habe, während heute die Dritte Welt als sicherheitspolitische Bedrohung wahrgenommen werde. Darüber hinausgehend wurde kritisiert, dass viele Nichtregierungsorganisationen ein regelrechtes „Development-Business“ betrieben, indem sie sich geschickt an wechselnde politische Vorgaben anpassen würden anpassten.

 

Friedenswissenschaft – Friedenspolitik – Friedenspraxis:
Eine Strategiediskussion

Anlässlich des bevorstehenden 40-jährigen Jubiläums der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung (AFK) im Jahre 2008 waren alle Interessierten dazu eingeladen, über das Selbstverständnis des Vereins nachzudenken und zu diskutieren. Moderatorin Regine Mehl betonte, dass man bewusst auf einen Diskussionsleitfaden für diese Veranstaltung verzichtet habe, um eine möglichst offene Debatte führen zu können. Die Teilnehmenden einigten sich auf vier Oberthemen, unter die sie alle geäußerten Diskussionsbeiträge subsumierten.

Als erstes wurde erörtert, inwiefern das Bekenntnis des Vereins zu einer normativ-ausgerichteten Friedenswissenschaft noch aktuell sei. Es herrschte breiter Konsens darüber, dass der Verein sich auch weiterhin zu einer normativen Ausrichtung der Friedenswissenschaft bekennen solle, so wie es die Satzung der AFK vorsieht. Darin heißt es, dass der Verein „wissenschaftliche Arbeiten [fördert], die zu einem vertieften Verständnis der Ursachen von Frieden und Krieg beitragen und Grundlage für eine am Frieden orientierte politische Praxis sein sollen“. Es sei allerdings in diesem Zusammenhang sinnvoll, zu analysieren, warum gerade junge Wissenschaftler sich häufig von einem normativen Verständnis der Wissenschaft distanzierten und die Wertneutralität ihres wissenschaftlichen Arbeitens betonten.

Anschließend wurde das traditionell enge Verhältnis der AFK zur friedenspolitischen Praxis diskutiert. Es bestand Einigkeit darüber, dass die enge Bindung der AFK an die Praxis diese gegenüber anderen Wissenschaftsvereinen auszeichne. Zudem habe das Kolloquium eindrücklich gezeigt, wie wichtig es sei, dass Forschungserkenntnisse auf ihre praktische Umsetzbarkeit und ihre politische Anwendung hin immer wieder überprüft würden. Aus diesem Grund sei es erwünscht, den bestehenden Austausch zwischen Friedenswissenschaft und friedenspolitischer Praxis in Zukunft zu intensivieren und Praktiker stärker an den Verein zu binden. Zu diesem Zweck könne man etwa ein Kolloquium länderspezifisch konzipieren und dazu Wissenschaftler und Praktiker einladen, die beide zu einem bestimmten Land oder einem länderspezifischen Konflikt arbeiten.

Ausgehend von der Beobachtung, dass die Kolloquien und die Arbeitsgruppen der AFK stark sozialwissenschaftlich ausgerichtet seien, überlegten die Teilnehmer und Teilnehmerinnen, wie der Verein sich anderen Disziplinen stärker öffnen könne. Es wurde vorgeschlagen, über die thematische Ausrichtung der Kolloquien andere Disziplinen stärker miteinzubeziehen. So könnten zum Beispiel zum Thema „Weltraumpolitik“ nicht nur Sozialwissenschaftler ihre Forschungsergebnisse einbringen, sondern auch Naturwissenschaftler (insbesondere Physiker) und Geisteswissenschaftler (insbesondere Philosophen). Ferner wurde empfohlen, Vertreter aus anderen Disziplinen, die ebenfalls zu Krieg und Frieden forschen, direkt anzusprechen, um sie so auf die Arbeit des Vereins aufmerksam zu machen.

Zum Abschluss der Diskussion wendeten sich die Teilnehmer und Teilnehmerinnen der Frage zu, in welcher Form die AFK Spitzenforschung im Bereich Friedens- und Konfliktforschung fördern könne. Zum einen wurde gefordert, dass sich der Verein gesellschaftspolitisch für die Einrichtung von Graduiertenschulen sowie für eine Erweiterung der Fördermöglichkeiten stark machen solle. Darüber hinaus wurde vorgeschlagen, die Kolloquien der AFK kompetitiver zu gestalten, um Spitzenforscher als Referenten gewinnen zu können.  Die wissenschaftliche Qualität der AFK-Kolloquien könne durch die Einrichtung eines Call-for-Papers sowie die Vorstellung und Bewertung der ausgewählten Vorträge durch einen Discussent unterstrichen werden. Ferner sei es wünschenswert, dass die Forschungsschwerpunkte und jüngsten Publikationen der Mitglieder der AFK auf der Webseite des Vereins präsentiert würden.

Abschließend plädierten die Teilnehmer und Teilnehmerinnen für eine Mitgliederbefragung über Zweck und Funktion der AFK, um so einen differenzierten Einblick in das Selbstverständnis des Vereins gewinnen zu können.

 

Christiane-Rajewsky-Preis 2007

Erstmalig wurde der diesjährige Christiane-Rajewsky-Preis an drei Preisträger verliehen. Jury-Vorsitzende Hanne-Margret Birckenbach (Universität Gießen) begründete diese Entscheidung mit den Forschungsergebnissen der Arbeiten, die eine hohe Relevanz für die Friedens- und Konfliktforschung haben. Zum einen analysierten die Autoren in ihren Arbeiten Konfliktphänomene, die vorher kaum wissenschaftliche Beachtung gefunden hätten. Zum anderen seien alle drei Arbeiten durch ihr Bestreben gekennzeichnet, Friedensstrategien für die untersuchten Konflikte zu entwickeln. In diesem Sinne zeigen die Arbeiten eindrücklich, so die Jury, dass normativ ausgerichtete Forschungsarbeiten sowohl wissenschaftlich herausragend als auch friedenspolitisch wertvoll sein können.

Der AFK-Nachwuchspreis wird jährlich an junge Wissenschaftler für einen herausragenden Forschungsbeitrag oder andere herausragende Leistungen im Bereich der Friedens- und Konfliktforschung vergeben. Insgesamt wurden dieses Mal 35 Arbeiten von Jungwissenschaftlern aus den unterschiedlichsten Disziplinen eingereicht. Die Jury-Vorsitzende deutete dies als Zeichen für eine fortschreitende interdisziplinäre Wahrnehmung der AFK.

Marcel Baumann erhielt den ersten Preis für seine Dissertation „Zwischenwelten: Weder Krieg noch Frieden. Über den konstruktiven Umgang mit Gewaltphänomenen im Prozess der Konflikttransformation“. Die Arbeit beschäftigt sich mit den Strukturmerkmalen von Friedensprozessen und präsentiert darauf aufbauend Handlungsstrategien, anhand derer eine nachhaltige Friedensordnung etabliert werden kann. Baumann geht davon aus, dass Friedensprozesse durch ihre Krisenhaftigkeit gekennzeichnet sind, da sie sich in einer so genannten „Halbwelt“ zwischen Krieg und Frieden befinden. Anhand der besonderen Merkmale der Friedensprozesse in Nordirland, Südafrika und Mazedonien leitet der Autor fünf zivile Interventionsansätze ab, die den Übergang vom Friedensprozess zu einer stabilen Friedensordnung maßgeblich unterstützen können: die Einrichtung von Kommunikationsräumen für die beteiligten Interessensgruppen, die Bewältigung vigilantistischer Gewalt durch Restorative Justice, die Einrichtung von Wahrheits- und Versöhnungskommissionen, die Gründung von Zukunftskommissionen sowie die Reform des Sicherheitssektors. Baumann konstatiert, dass diese Ansätze ein friedliches Zusammenleben in Nachkriegsgesellschaften ermöglichten und somit die Voraussetzung für eine stabile Friedensordnung herstellten.

Silke Oldenburg erhielt einen zweiten Preis für ihre Magisterarbeit „Lebensverhältnisse und Zukunftsperspektiven jugendlicher Binnenvertriebener in Altos de Cazucá (Kolumbien). Eine ethnologische Fallstudie“. Die Arbeit widmet sich der Situation von jugendlichen Binnenvertriebenen in einem sie stark marginalisierenden und stigmatisierenden Konfliktkontext in einem Slumvorort von Bogotá. Die Autorin zeigt auf, dass Kulturarbeit maßgeblich dazu beitragen kann, Konflikte konstruktiv zu bearbeiten und ihnen ihre gesellschaftliche Sprengkraft zu nehmen.

Leila Mousa erhielt ebenfalls einen zweiten Preis für ihre Magisterarbeit „Flüchtlingslager als Spielball politischer Interessen. Eine geographische Konfliktforschung am Beispiel der palästinensischen Flüchtlingslager im Libanon“. Mousa beschäftigt sich in ihrer Arbeit mit der Zweckentfremdung von Flüchtlingslagern als humanitärer Schutzraum durch rivalisierende Interessengruppen. Die Autorin weist darauf hin, dass bisher weder politische noch rechtliche Normen bestehen, die einer Instrumentalisierung von Flüchtlingslagern effektiv entgegenwirken könnten.

 

Wissensgenerierung im gesellschaftlichen Konfliktraum

Die beiden Abschlussvorträge beschäftigten sich mit den Ambivalenzen von Wissensgenerierungen im gesellschaftlichen Konfliktraum am Beispiel des internationalen Terrorismus-Diskurses.

Georg Meggle (Universität Leipzig) untersuchte in seinem Vortrag die Bedeutung des Begriffs „Terrorismus“ im internationalen politischen Diskurs. Aus Sicht der analytischen Philosophie könne man eine Definition von „Terrorismus“ logisch herleiten, indem man sich mit den Handlungslogiken und -motiven der Akteure beschäftige. Allerdings sei im politischen Diskurs zu beobachten, dass die Klassifizierung eines Gewaltaktes als „terroristisch“ oder die Einordnung eines Akteurs als „Terrorist“ sich eben nicht auf wertneutrale, logisch-nachvollziehbare Kategorisierungsschemata stütze. Vielmehr repräsentiere hier die Verwendung des Begriffs „Terrorismus“ eine kommunikative Strategie, um die adressierten Staaten bzw. Gruppierungen als unduldbar zu bezeichnen. In Folge dessen werde ein vehementes Vorgehen gegen diese Akteure als legitim betrachtet. Meggle konstatierte, dass diese kommunikative Strategie vornehmlich von westlichen Staaten benutzt werde, um eine Vorherrschaft des Okzidents über den Orient zu manifestieren.

Manuela Boatca (Universität Eichstätt-Ingolstadt) beschäftigte sich anschließend genauer mit der Konstruktion von Differenz im Rahmen des internationalen Terrorismus-Diskurses. Sie arbeitete heraus, dass die Verwendung des Begriffs „Terrorismus“ genutzt werde, um ein Differenzverständnis zwischen der Eigen- und der Fremdgruppe zu institutionalisieren. So habe die US-amerikanische Administration in Folge der Terroranschläge vom 11. September 2001 unter Verwendung des Begriffs eine eklatante Differenz zwischen „dem Westen“ und „dem Rest der Welt“ konstruiert. Boatca wies darauf hin, dass dieses Vorgehen weder zur Aufklärung der Anschläge noch zur Ergründung der tieferen Konfliktlinien beitrage. Vielmehr habe dies zur Folge, dass eine „historische Amnesie“ - die bewusste soziale Konstruktion des Nicht-Sehens - im gesellschaftlichen Konfliktraum institutionalisiert werde.