2006
Berliner Friedenspolitik
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Stand: 28.2.2010

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Berliner Friedenspolitik: 
Anspruch - Wirklichkeit - Zukunft

Der Ortswechsel nach Berlin hat sich “gelohnt”: um 175 TeilnehmerInnen! Sie überbieten jeden vorherigen AFK-Rekord. (In Iserlohn wär’s eng geworden.) Wie ist der unerwartete Zustrom zu erklären? Aufschluss hierzu gibt hier nachfolgend der Tagungsbericht! (auch als PDF-Datei: Kolloquiumsbericht)
Oder hat einfach des Kolloquiumsprogramm ins “Schwarze” getroffen?
Die vorgezogene Bundestagswahl in 2005 - wer hätte sich derartig verwirrende Ergebnisse erwartet, gar erhofft? Was wird sie friedenspolitisch zeitigen, was wird die neue Regierung tun, was leisten - aus friedenswissenschaftlicher Sicht?
Mit ihrem Kolloquium 2006 ist die AFK in die Hauptstadt Berlin gezogen und hat - gut 100 Tage nach Regierungsantritt - die Verantwortlichen öffentlich befragt und nach den Verantwortlichkeiten ge”fahndet”. In Arbeitsgruppen wurde nachgearbeitet, was nötig ist und möglich werden kann. in der Sicht auf Deutschland wie zugleich in der Binnenperspektive.
Zeitpunkt: 3.3. bis 5.3.2006
Der bewährte Veranstalter Evangelische Akademie Iserlohn hat das Kolloquium am Veranstaltungsort Johannesstift, Berlin-Spandau für die AFK ausgerichtet und organisatorisch voll “gemeistert”.
 
Hier der Bericht - von Tanja Hausmann:
 

Berliner Friedenspolitik: Anspruch – Wirklichkeit – Zukunft

Jahreskolloquium der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung e.V. (AFK) vom 3. bis 5. März 2006 im Evangelischen Johannesstift in Berlin-Spandau, in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Akademie Iserlohn und gefördert aus Mitteln der Deutschen Stiftung Friedensforschung (DSF) und der Arbeitsstelle Friedensforschung Bonn (AFB).

 

Mit den Wünschen an eine „interessante und ertragreiche“ Tagung und einen „Dialog zwischen Wissenschaft, Politik und Gesellschaft“ schloss Studienleiter Uwe Trittmann (Evangelische Akademie Iserlohn) seine Begrüßungsansprache. „Berliner Friedenspolitik: Anspruch – Wirklichkeit – Zukunft“, so der Titel dieser Veranstaltung, bei deren Planung, so Trittmann, die Änderung der politischen Konstellation in Deutschland noch nicht vorhersehbar war. Nach erst 100 Tagen Berliner Friedenspolitik unter einer neuen Koalition könne man nun noch keinen aktuellen Schwerpunkt setzen, vielmehr solle es bei der Tagung um quer liegende Fragen zu vergangener und künftiger Politik in einem Deutschland, eingebunden in Europa und die Welt, gehen.

„…von dem Willen beseelt, […] dem Frieden der Welt zu dienen…“ zitierte Peter Schlotter (Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, HSFK, Frankfurt/M.) in seiner Eröffnungsrede aus der Präambel des Grundgesetzes das Motto dieser Tagung. Der Friedensauftrag des Grundgesetzes als unverzichtbarer Kernbestand der deutschen Verfassung. Wie zeigt sich Berliner Friedenspolitik – bewusst und provokativ ohne Fragezeichen? Angedacht war, die Friedensforschung und –arbeit für die Wahlen im Herbst 2006 ins Gespräch zu bringen und in die Wahlkampfplanung mit hineinzuholen. Die Realität sehe nun anders aus: Es stehe eine erste Bilanz über die neue Regierung an, es gehe um die rückblickende Betrachtung von Fragen über Politik und Strategien der Vorgängerregierung sowie um Prognosen und Tendenzen für eine zukünftige Politik.

Anlass genug, dass etwa 175 Teilnehmende ein Wochenende lang über Deutschlands Rolle in der Europa- und Weltpolitik, über die „moderne Außenpolitik“ mit Tendenzen zur Vergesellschaftung, über Unilateralismus und Multilateralismus oder über den Aktionsplan „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ der Bundesregierung diskutierten. „Demokratie – wie auch die Wissenschaft – brauchen den Streit um die beste Lösung. Streiten wir uns – ohne uns zu zerstreiten.“ So die abschließende Aufforderung Schlotters.

Catherine McArdle Kelleher (Watson Institute - Brown University, USA) eröffnete den inhaltlichen Teil des Kolloquiums. In ihrem Beitrag bot sie einen analytischen Überblick bzw. eine analytische Sichtweise auf die Internationalen Beziehungen unter den heutigen Bedingungen der Bush-Administration.

In der anschließenden Plenardebatte wurde kritisiert, dass im Vortrag der Begriff „Frieden“ durch „cooperative security“ ersetzt wurde. Kooperative Sicherheit sei zwar friedensfördernder als konfrontative Sicherheit, reiche aber für die Friedensforschung nicht aus. Auch die stetige Verwendung des Pronomens „wir“ warf Fragen auf. Bedeute dies, dass Deutschland und die USA eine gemeinsame Sichtweise auf die Welt und gemeinsame Wertvorstellungen hätten, so die Frage von Ekkehart Krippendorff? Wer sind „wir“? Sollte McArdle Kelleher nicht besser von „die Regierung“ sprechen? Wo bleibe die Erwähnung, dass die Friedensforschung den Anspruch habe, radikale soziale Gegenentwürfe zu entwerfen? Wo sieht McArdle Kelleher Ansatzpunkte für die im Vortrag nicht thematisierte Remilitarisierung und den Bürgerkrieg im Irak? Oder fehle (auch innerhalb der Friedensforschung) eine Alternative, ein normativer Gegenentwurf zum Status Quo der real existierenden Außenpolitik? Ist ein „lack of imagination“ erkennbar? Auch an ihrer Aussage, dass ein Iran mit Atomwaffen womöglich unausweichlich sei, wurde Kritik geübt. Dies sei noch lange kein Grund, untätig zu sein bzw. eine militärische Intervention oder einen Krieg zu befürworten.

 

In der folgenden Podiumsdiskussion zwischen Friedensforschung und Politik unter dem Motto „Berliner Friedenspolitik zwischen Theorie und Praxis – ein Streitgespräch“ beteiligten sich unter der Moderation von Arnd Henze (WDR, Köln), Adolf Kloke-Lesch (Ministerialdirigent im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit, BMZ, Bonn), Christian Schmidt (Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium der Verteidigung, BMVg, Berlin), Hanne-Margret Birckenbach (Universität Gießen) und Lothar Brock (HSFK, Frankfurt/M.). Dabei ging es zunächst darum, ob sich die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik im Laufe der 1990er Jahre wesentlich verändert hat. Henze stellte die Frage in den Raum, ob die heutige Berliner Friedenspolitik aus einer Koalition zwischen zivilen und militärischen Taktiken bestehe. Brock stellte fest, dass es, zumindest unterschwellig, eindeutig zu einer Militarisierung der Politik und zu einer Enttabuisierung des Militärischen gekommen sei. Er betonte, dass die Friedensforschung durch die weitgehende Annahme des erweiterten Sicherheitsbegriffs daran auch mitgewirkt hätte. Dazu kam die Frage, ob die Enttabuisierung des Militärischen im Inneren das Ziel der neuen Regierung sei. Schmidt bemerkte, dass das Militär generell für äußere Sicherheit zuständig sei, dass man aber über Szenarien nachdenken müsse, die Bundeswehr bei konkreten Sicherheits- und Bedrohungsgefahren im Inneren einzusetzen, wenn der eigentliche Zuständigkeitsbereich nicht ausreiche. Panzer vor Fußballstadien wolle aber keiner aufstellen. Dem entgegnete Brock, dass die harmlos anmutende Tatsache, die Bundeswehr bewache nun „die sterbenden Schwäne auf Rügen“, eine implizite Aufwertung der Bundeswehr als Instrument der inneren Sicherheit bedeute.

Ein weiteres Thema war der Aktionsplan der Bundesregierung zur Zivilen Krisenprävention. Birckenbach konstatierte, dass dem Aktionsplan elementare Inhalte fehlen würden und dass es keine friedenspolitisch erkennbare Leitlinie der Regierung gebe. Sie vermisse im Aktionsplan Bekenntnisse zur Charta der Vereinten Nationen, zu einem Gewaltverbot und ein Bekenntnis zur friedlichen Streitschlichtung. Der Vertreter der politischen Administration, Kloke-Lesch, setzte diesem entgegen, dass es einen aktiven Multilateralismus und eine ansehnliche Bilanz im Bereich Ziviler Konfliktprävention gebe. Die Bundesregierung beteilige sich in vielen Ländern an Entwicklungszusammenarbeit mit zivilen Mitteln, aber man würde immer nur dahin schauen, wo Militär beteiligt sei. Deswegen erscheine die Bilanz so einseitig. Er wies darauf hin, bei „Militär“ auch an UN-Peacekeeping, und nicht nur an die Bundeswehr oder den Irak zu denken. Einigkeit herrschte darüber, dass „Sicherheit“ heutzutage zu einem wichtigen und großen Thema geworden sei und dass – im Unterschied zu früher – heute primär ein Sicherheitsdiskurs, und kein Entwicklungsdiskurs mehr geführt werde.

Brock sah infolgedessen ein Problem darin, dass Politik aus der Sicht von Bedrohungsvorstellungen entwickelt werde. Auch die Friedensforschung mache dies gerne, um „ein Stück vom Kuchen abzubekommen“. Dabei werde vernachlässigt, welche die eigentlichen Probleme seien, die gelöst werden wollten.

Arbeitsgruppe: Deutsche Europapolitik zwischen normativem Anspruch und Eigeninteresse

Für die Berliner Friedenspolitik ist die Europapolitik in zweifacher Hinsicht von Bedeutung. Zum einen ist das Projekt der europäischen Integration im Kern selbst ein Friedensprojekt, weil es auf die dauerhafte Überwindung von Rivalitäten durch Zusammenarbeit und Verrechtlichung zielt. Daher sind Vertiefung und Erweiterung der Europäischen Union traditionell immer auch Prioritäten der Bundesregierung gewesen. Zum anderen positioniert sich die Europäische Union zunehmend als Akteur in der internationalen Sicherheitspolitik. Bei der Ausgestaltung dieser Rolle spielt auch die Bundesregierung eine wichtige Rolle. Die Arbeitsgruppe „deutsche Europapolitik“ unter der Leitung von Wolfgang Wagner (HSFK, Frankfurt am Main) hat sich mit beiden Dimensionen ausführlich auseinandergesetzt.

Zum Einstieg referierte Sebastian Harnisch (Universität Trier) über die Grenzen der deutschen Integrationspolitik, die durch die Bundesländer und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gezogen werden. Weil die EU mittlerweile weit in die Mitgliedstaaten hineinregiert, werden die Handlungsspielräume der Bundesregierung dabei eher enger, wie Harnisch am Beispiel des Europäischen Haftbefehls illustrierte.

Gisela Müller-Brandeck-Bocquet (Universität Würzburg) widmete sich anschließend dem Stand der deutsch-französischen Beziehungen, die gerade auch für die EU als Friedensprojekt eine entscheidende Rolle spielen. Dabei kommt sie zu einer sehr skeptischen Einschätzung der derzeitigen Beziehungen. Weil bis zu den französischen Präsidentschaftswahlen keine neuen Impulse zu erwarten seien, werde die Bundesregierung auch während ihrer Präsidentschaft nur eingeschränkt auf die Zusammenarbeit mit Frankreich bauen können.

In seinem Referat zu ziviler Konfliktprävention und Krisenmanagement der EU hob Reinhardt Rummel (Centrum für angewandte Politikforschung München) die Bedeutung dieses Instrumentariums innerhalb der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik hervor. Insbesondere beim „mainstreaming“ der Konfliktprävention war die Bundesregierung bislang allerdings eher eine Nachzüglerin. Unter anderem mit dem Zentrum für internationale Friedenseinsätze leistet sie im Bereich des zivilen Krisenmanagements einen wichtigen Beitrag. Die Ratspräsidentschaft 2007 könnte zum weiteren Ausbau dieses Instrumentariums genutzt werden.

Tobias Heider (Mitarbeiter von Angelika Beer im Europäischen Parlament) kritisierte in seinem Vortrag die Bundesregierung für Versäumnisse in mehreren Bereichen der Rüstungs- und Rüstungskontrollpolitik. Bei der Beschaffung von Rüstungsgütern lasse die Bundesregierung keine Präferenz für europäische Produkte erkennen, die Aufwertung des Verhaltenskodexes in der Exportkontrolle habe sie mit der Aufhebung des Waffenembargos gegen China verknüpft, und in den Verhandlungen mit dem Iran über dessen Atomprogramm hätte sie (wie die EU insgesamt) nur unzureichende Angebote vorgelegt.

Insgesamt bleibt die deutsche Europapolitik in vielen Punkten hinter dem Ideal dessen zurück, was friedenspolitisch wünschenswert wäre. Insbesondere im Bereich der zivilen Konfliktprävention und des zivilen Krisenmanagements besteht jedoch die Chance, die Ratspräsidentschaft 2007 für Initiativen in diesem Bereich zu nutzen.

Arbeitsgruppe: Zivile Krisenprävention, Konfliktregelung und Friedenskonsolidierung – Bilanz und Zukunft deutscher Politik

Auf Anregung zivilgesellschaftlicher Akteure und RepräsentantInnen des deutschen Bundestages wurde von der rot-grünen Regierung 2004 ein „Aktionsplan Krisenprävention“ verabschiedet. Er enthält eine Bestandsaufnahme der Schritte, die zur Verbesserung der Instrumente für eine krisenpräventive Außenpolitik eingeleitet wurden und 161 Empfehlungen. Unter Federführung des Auswärtigen Amts (AA) wurde ein Ressortkreis etabliert, in dem Angehörige aller einschlägigen Ministerien an der Umsetzung mitwirken sollen. Wissenschaftliche Einrichtungen, NGOs, kirchliche Hilfswerke und politische Stiftungen sollen die Arbeit über einen Beirat begleiten. Die Arbeitsgruppe widmete sich der kritischen Bilanzierung des Aktionsplans und der Frage, wie krisenpräventive Außen- und Entwicklungspolitik zu integrieren seien.

Christoph Weller (Universitäten Duisburg und Stuttgart), stellte bei seiner inhaltlichen Einführung in den Aktionsplan fest, dass sich das Papier am „erweiterten Sicherheitsbegriff“ orientiere. Ziel sei es, zu mehr Kohärenz staatlichen Handelns und zur stärkeren Koordination staatlicher und nichtstaatlicher Aktivitäten beizutragen. Die Zusammenarbeit mit NGOs werde ebenso betont, wie die multilaterale Einbindung deutscher Außenpolitik und die Notwendigkeit zivil-militärischer Zusammenarbeit. Weller betonte, dass vor allem Ministerien wie das Auswärtige Amt (AA), das BMZ und das BMVg ein Interesse daran hätten, sich mit dem Präventionsthema zu profilieren. Der Aktionsplan eröffne zwar einerseits neue Chancen der Kooperation zwischen Administration und zivilgesellschaftlichen Akteuren, er habe andererseits aber u.a. auch die Funktion, KritikerInnen einer „Versicherheitlichung“ des Konzepts der Krisenprävention einzubinden.

In der Diskussion wurde darauf hingewiesen, dass der Aktionsplan Ausdruck eines neuen Denkens in der Administration sei. Personen, die sich für die Stärkung ziviler Instrumente der Krisenprävention einsetzen, verfügen nun über ein Dokument, mit dem sie ihrem Anliegen Nachdruck verleihen könnten. Gleichwohl sei die Einbindung von KritikerInnen auch ein wesentlicher Gesichtspunkt. Zivilgesellschaftliche Organisationen müssten sich dieses Spannungsfelds sehr bewusst sein, d.h. einerseits kooperieren, andererseits aber auch das Regierungshandeln aus kritischer Distanz beleuchten und ggf. mit Gegenentwürfen konfrontieren.

Ulrich Schneckener, (Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin) beleuchtete die Außen- und Entwicklungspolitik der Bundesregierung im globalen Kontext und insbesondere im Hinblick auf mögliche Beiträge zur Reform-Diskussion der Vereinten Nationen. Seiner Einschätzung nach lassen sich vier verschiedene Strategien beobachten, mit denen die internationalen Organisationen und Regierungen sich in den vergangenen Jahren an friedensfördernden Maßnahmen vor allem in Nachkriegsregionen beteiligten:

  • „Liberalisation first“ (Demokratisierung und wirtschaftliche Weltmarktanpassung)
  • „Security first“ (Herstellung eines staatlichen Gewaltmonopols)
  • „Institutionalistion first“ (Etablierung rechtsstaatlicher Institutionen)
  • „Civil Society first“ (Stärkung gesellschaftlicher TrägerInnen)
  • Die internationalen Bürokratien bedienten sich meist einer Kombination dieser Strategien. Probleme ergäben sich durch mangelnde Abstimmung und Ressortkonkurrenzen auf verschiedenen Akteursebenen. Die UN-Peace-Building-Commission habe die Funktion, zwischen dem UN-Hauptquartier und den in den Krisenregionen tätigen Akteuren Kohärenz und Koordination zu gewährleisten und damit zur Erhöhung von Legitimität beizutragen. In der Diskussion wurde u.a. festgestellt, dass man inzwischen über reichhaltige Erfahrungen über die Konsequenzen inkohärenten Handelns verfüge. Gleichwohl gebe es aber bislang zu wenig Initiativen, diese Erfahrungen systematisch auszuwerten und in Prozesse institutionellen Lernens einfließen zu lassen.

Ulrike Hopp, (Berghof Foundation for Conflict Studies, Sri Lanka) bezeichnete den Aktionsplan Zivile Krisenprävention als hilfreiches Dokument, das mit politischem Gestaltungswillen unterfüttert werde müsse. Die deutschen Präsidentschaften innerhalb der EU und der G8 bildeten Gelegenheiten, sich mit Ansätzen der Krisenprävention zu profilieren und gezielte Öffentlichkeitsarbeit zu leisten. Im Hinblick auf eine stärkere Integration von friedenspolitischen Instrumenten in die Entwicklungspolitik forderte Hopp, die Bundesregierung müsse eine klarere Haltung dazu entwickeln, in welchen Zielländern sie sich mit welcher Intensität einmische und Verantwortung übernehme. Beim Einsatz von Entwicklungspolitik als Sanktionsinstrument sah sie Vorsicht geboten und regte an, bisherige Erfahrungen genauer auszuwerten. Insbesondere im Umgang mit inkriminierten, gewaltbereiten Organisationen stelle sich die Frage, wie man einerseits deren Stärkung vermeiden und aber andererseits die Türen für den Dialog offen halten könne.

In der Diskussion wurde festgestellt, dass auch die zivilgesellschaftlichen Akteure stärker zu gemeinsamem Handeln finden und auch Mut zur Kritik finden müssten. Die Erfahrung zeige, dass Kritik möglich ist, auch wenn man durch staatliche Mittel (ko-)finanziert werde. Allerdings sei es von großer Wichtigkeit, sich genau zu überlegen, wen man im politischen Dialog konkret adressiere: „Die Regierung“, oder einzelne MitarbeiterInnen der Administration, des Parlaments oder der politischen Parteien. Verwechslung der Ebenen führe nicht nur dazu, dass Kritik ungehört verhalle, sondern auch dazu, dass BündnispartnerInnen verprellt würden.

Wolfgang Heinrich (Evangelischer Entwicklungsdienst, Arbeitsstelle „Frieden und Konfliktbearbeitung“) beschäftigte sich mit Problemen der Wirkungsanalyse friedensfördernder Maßnahmen. Er stellte fest, dass es dafür bislang kein anerkanntes Evaluierungsinstrumentarium gebe. Er referierte Überlegungen aus dem „Reflecting on Peace Practice“-Projekt (RPP), das von der amerikanischen NGO „Collaborative for Development Action“ initiiert wurde und sich auf zahlreiche Fallstudien friedensfördernder Initiativen in unterschiedlichen Krisenregionen weltweit stützt. Die daran beteiligten ForscherInnen und PraktikerInnen sehen es als eine wichtige Voraussetzung, dass Organisationen klären, welche Vorannahmen über sozialen Wandel sie haben, welche kurz-, mittel- und langfristigen Ziele sie anstreben und mit welchen Strategien sie diese erreichen wollen. Darüber hinaus müssten sie eine eingehende Definition der zentralen Faktoren von Gewaltdynamik, externer und interner Konfliktfaktoren sowie von Friedenspotenzialen vornehmen. Im RPP–Kontext wurden fünf wichtige Kriterien für die Wirkungsbeobachtung benannt:

  • Überwindung der Schlüsselfaktoren von Gewaltdynamik
  • Motivation der Beteiligten, eigene Initiativen zu entwickeln
  • Reform politischer Institutionen der Konfliktbearbeitung
  • Befähigung lokaler Akteure, Gewaltprovokationen zu widerstehen
  • Objektive Verbesserung der Sicherheitslage.
  • In der Diskussion wurde betont, dass entlang dieser Kriterien Indikatoren erstellt werden sollten, dass diese aber der jeweiligen Situation angepasst entwickelt werden müssten. Eine Festlegung allzu fixer Standards würde innovative Ansätze unterdrücken und zu viele Energien absorbieren. Kreativität statt Technokratie sei auch bei der Projektplanung gefragt. Es gelte Handlungsspielräume für lokale Akteure zu erhalten, anstatt sie in starre, von außen festgelegte Konzepte zu pressen.

Arbeitsgruppe: Krisenprävention: Die gesellschaftliche Dimension

Thema der Arbeitsgruppe war die Zusammenarbeit deutscher Außen- und Entwicklungspolitik mit gesellschaftlichen Akteuren in den Konfliktregionen. Die vier ReferentInnen analysierten das veränderte Selbstverständnis und die zugewiesenen Rollen von Zivilgesellschaft, Journalismus und Bildung in der zivilen Krisenprävention.

Claudia von Braunmühl (Freie Universität Berlin) kritisierte die „Versicherheitlichung“ von Entwicklungspolitik und Entwicklungszusammenarbeit (EZ). Die Verzahnung mit der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik basiert auf dem erweiterten Sicherheitsbegriff, aber auch im Terminus der „menschlichen Sicherheit“. Beide Begriffe erkennen Gefährdungen der Sicherheit jenseits militärischer Bedrohungen an. Daraus werden jedoch nicht zwangsläufig andere Antworten auf die Gefährdungen, sondern eher ein erweitertes Rollenverständnis von Militär abgeleitet. Die Kernziele der EZ, nämlich Armutsminderung und nachhaltige Entwicklung, würden in die Enge gedrängt und pervertiert.

Der klassische Sicherheitsbegriff vernachlässige eine an Lebens- und Entfaltungsinteressen von Menschen orientierte zivile Konfliktbearbeitung. In der Konfliktnachsorgephase bei der (Wieder-)Herstellung von Staatlichkeit und beim nation-building würden bei Friedensabschlüssen die Probleme sozialer Ungleichheiten nicht bedacht. Von Braunmühl verwies insbesondere auf das Geschlechterverhältnis. Zivile Konfliktnachsorge brauche den Bezugsrahmen der Menschenrechte.

Die Evaluation eines Fallbeispiels stand im Mittelpunkt des Beitrags von Christoph Bongard (Forum Ziviler Friedensdienst e.V., Bonn). Er berichtete über ein Projekt des Zivilen Friedensdienstes (ZFD) in Nord-Kroatien, in dem gesellschaftliche Friedenspotenziale identifiziert und gefördert werden sollten.

Das ZFD-Projekt verfolgte, so Bongard, im Wesentlichen Strategien der Gemeinwesenbildung. Ausgehend von einer aktivierenden Befragung mündete das Projekt in die Gründung eines lokalen interethnischen Vereins für Kinder- und Jugendarbeit.

Er verwies abschließend vor allem auf die Bedeutung von Prozessbegleitung, auf local ownership und auf die Bedeutung der all-parteilichen Rolle von Internationalen Organisationen.

Im weiteren Verlauf ging es in der Arbeitsgruppe um Strategien politischer Einflussnahme in der und durch Zivilgesellschaft im Rahmen ziviler Krisenprävention. Nadine Bilke (ZDF-Online, Mainz) entwickelte in ihrem Vortrag Kriterien für einen Friedensjournalismus und zeigte die unterschiedlichen Möglichkeiten durch journalistische Arbeit in Nachkriegsgesellschaften auf.

Eine friedenswissenschaftliche und friedenspädagogische Weiterbildung kann den nötigen Hintergrund auf- und ausbauen, damit sich mehr JournalistInnen und Medien an den Kriterien eines Friedensjournalismus orientieren.

Innerhalb der Gesellschaften im Krisen- oder Nachkrisengebiet kann der Aufbau regionaler Sender unterstützt werden, Menschen von den verschiedenen Gruppen, Einzelpersonen können zu Wort kommen, um Informationen besser zu verteilen. Diese Arbeiten sind friedensfördernd, entfernen sich jedoch von einer journalistischen Arbeit, bei der die Nachricht im Vordergrund steht. Hier geht Friedensjournalismus in Friedensarbeit und Friedenspädagogik über.

Der Beitrag von Uli Jäger (Institut für Friedenspädagogik, Tübingen) knüpfte daran unmittelbar an. Als Einstieg zeigte er einen Ausschnitt aus der CD-Rom „Peace Counts“. In diesem Projekt erzählen JournalistInnen ermutigende Geschichten aus Nachkriegsgesellschaften.

Friedenspädagogik in der EZ sei gegenwärtig vor allem eine Herausforderung, so Jäger. Aus der EZ, die sich als krisenpräventiv verstehe, werde der Bedarf nach Friedenspädagogik formuliert.

Dazu sei es notwendig, die Standards von Friedenspädagogik zu bestimmen. Um Lernarrangements zu konzipieren, brauche Friedenspädagogik einen hohen Wissenschaftsbezug und Interdisziplinarität. Es gelte, grundsätzlich den Zusammenhang von Erziehung, Gewaltbereitschaft und Friedensfähigkeit zu klären, da Bildung nicht per se friedensfördernd sei. Im Interesse der Gewaltfreiheit sei Friedenspädagogik immer wertorientiert, halte sich aber als politische Bildungsarbeit an das Indoktrinationsverbot und Kontroversegebot. Friedenspädagogik schließe die Lücke zwischen der Mikro- und der Makroebene. Die Fragen nach den Ursachen von Unfrieden und Gewalt würden auf der individuellen, der gesellschaftlichen und der internationalen Ebene aufgegriffen.

Ansätze von Friedenserziehung in der EZ sieht Jäger in der kritischen Beschäftigung mit Gewaltpotenzialen und im konstruktiven Umgang mit Konflikten. Grundsätzlich stelle sich die Frage: Kann es Friedenspädagogik geben, wenn den Menschen die Grundbildung verwehrt ist?

Arbeitsgruppe: Friedliche Außenpolitik – Unfriedliche Innenpolitik?

Zu Beginn erläuterte Detlef Bald (München) die Wandlungen der deutschen Streitkräfte in den letzten 50 Jahren von einer reinen Verteidigungsarmee hin zu Streitkräften der Krisenintervention. Anhand von Dokumenten aus den Ministerien und Strategiepapieren sah er den Bruch im Auftrag der Bundeswehr v.a. in dem seit dem Ende des Ost-West-Konfliktes mit den neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen herauf ziehenden Delegitimierung des alten Auftrags und der Suche nach einer neuen Legitimation jenseits reiner Verteidigung. Er machte darauf aufmerksam, dass die Zentralität eines neuen Sicherheitsbegriffs und Sicherheitsverständnisses das wesentliche Argument für den Umbau der Armee gewesen sei. Mit diesem Umbau sei ein verändertes Führungs- und Leitbild der Bundeswehr verbunden gewesen und es sei nicht sicher, wohin die Bundeswehr heute eigentlich steuere, welche Aufgaben sie übernehmen solle (Sicherungsfunktionen etwa auch im Inneren?) und in welchem Kontext sie sich zukünftig international engagieren müsse und solle. Bald erläuterte in diesem Zusammenhang, dass die gegenwärtige "Bürgerarmee" Ungerechtigkeiten im Hinblick auf die Wehrgerechtigkeit produziere, aber letztendlich demokratischer sei, so die unterstellte Vermutung, als die per se undemokratischere Berufsarmee.

Sodann berichtete Wilhelm Heitmeyer (Universität Bielefeld) über die Gefahren gesellschaftlicher Desintegrationsprozesse und stellte einige signifikante Ergebnisse seines Langzeitprojekts zu den „Deutschen Zuständen“ vor. Ziel des Projekts sei es, menschenfeindliche Einstellungsmuster und Handlungs- bzw. Verhaltensweisen zu identifizieren, die der Gewaltanwendung Vorschub leisten und sich ansonsten in Rassismus, Sexismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit niederschlügen. Heitmeyer wies auf die z.T. sehr Besorgnis erregenden Befunde seiner Untersuchung hin und verdeutlichte, dass die Orientierungslosigkeit deutlich zugenommen habe und eine ernste Gefahr für den inneren Frieden darstelle. Er machte insbesondere die Mittelschichten als Verlierer der gegenwärtigen sozioökonomischen Entwicklungstendenzen aus und wies darauf hin, dass sich gerade in der Mitte der Gesellschaft Einstellungsmuster und Verhaltensweisen polarisierten und radikalisierten. Man müsse nicht mehr nur auf die Ränder der Gesellschaft schauen, sondern in zunehmendem Maße das Protestpotenzial in der Mitte sehen und entschärfen.

Klaus Boehnke (International University Bremen) beschäftigte sich in seinem Referat in Ergänzung zu Heitmeyer mit den Rückwirkungen der EU-Osterweiterung auf die gesellschaftliche Integration in Deutschland. Zum einen wies er auf die veränderten sozioökonomischen Konstellationen mit der Osterweiterung für die EU und die Beitrittsländer hin, zum anderen zeichnete er differenziert nach, wie sich die Einstellungen bestimmter Bevölkerungsteile im Zuge der Erweiterung verändert hätten. In Anlehnung an die Kontakthypothese zeigte er, dass nationalistische Einstellungen sich paradoxerweise gerade bei denen erhöhten, die die Anderen angenehm fänden, vorher nur geringen Nationalismus zeigten und sich jetzt bedroht fühlten.

Abschließend ging Markus Hahner (Marburg) in seinem Beitrag über den Terrorismus auf die Gefahren für die Demokratie, die Grund- und Bürgerrechte ein. Er zeigte an den seit dem 11. September 2001 erlassenen Sicherheitsgesetzen, dass mit ihnen ein realer Demokratieabbau und eine massive Einschränkung von Bürgerrechten einher gegangen sei. Hahner warnte vor einer Verabsolutierung des Sicherheitsdenkens, da es keine umfassende Sicherheit geben könne und terroristische Anschläge sich gerade durch ihre Heimtücke und Überraschung auszeichneten, gegen die nur schwer präventiv etwas auszurichten sei. Gleichzeitig machte er deutlich, dass die Mehrheit der Bevölkerung die Einschränkung der Grundrechte und andere Einschränkungen der Freiheit hinnähmen, um mehr Sicherheit zu gewinnen.

In der anschließenden Diskussion wurde darauf hingewiesen, dass Sicherheit eine sog. „catch-all-Kategorie“ darstellen würde, die nur schwer fassbar wäre. Im Hinblick auf die Frage der Akzeptanz der Einschränkungen von Freiheitsrechten wurde immer wieder auf die Unwägbarkeiten terroristischer Gewalt und die damit verbundenen Ängste in der Bevölkerung hingewiesen.

Die Frage, ob eine friedliche Innenpolitik die Voraussetzung für eine friedliche Außenpolitik sei, konnte allerdings nicht abschließend beantwortet werden. Der umgekehrte Zusammenhang erschien den Teilnehmenden des Panels dagegen sehr viel stärker einleuchtend zu sein: Ohne friedliche Außenpolitik gibt es auch keinen inneren Frieden.

Christiane-Rajewsky-Preis 2006

Den diesjährigen Christiane-Rajewsky-Preis erhielt Sonja Schüler für ihre Dissertation „Integration durch Demokratisierung? Die Minderheitensituation der Roma in Bulgarien seit 1989“. Die Jury-Vorsitzende Hanne-Margret Birckenbach (Universität Gießen) betonte, dass der Jury die Entscheidung unter den eingesandten 22 verschiedenartigen Arbeiten nicht leicht gefallen sei. Besonders überzeugt habe letztendlich ein reflektierter und differenzierter Aufbau der Arbeit und die Darstellung politischer, ethnologischer und sozialer Zusammenhänge. Außerdem fülle die Thematik eine wissenschaftliche und politische Lücke in der Friedensforschung aus und könne dazu beitragen, eine breite Debatte über die Thematik zu entfachen. Der Preis hat nach Birckenbach eine materielle und ideelle Seite: Zum einen ist er mit 500 Euro dotiert, zum anderen soll er ermutigen „zu wagen, über den Frieden nachzudenken“. Der AFK-Nachwuchspreis wird jährlich an junge WissenschaftlerInnen für einen herausragenden Forschungsbeitrag im Bereich der Friedens- und Konfliktforschung vergeben.

Die Arbeit von Schüler befasst sich mit den Fragen, welche Charakteristika und Hintergründe die heutige Situation von Roma in der Großregion Osteuropa kennzeichnen, wie sich die Transformationsprozesse jener Region auf die Lebensbedingungen dieser Volksgruppe ausgewirkt haben und welche Akteure wie und mit welchen Ergebnissen auf die Lage der Roma einwirken. Dabei verfolgt die Autorin die Absichten, ein differenziertes Roma-Bild jenseits der verbreiteten einseitigen Darstellungsform dieser Gruppe als kollektiv schuldige Problemverursacher bzw. als bloße Opfer einer feindselig gesonnenen gesellschaftlichen Umgebung zu vermitteln und die Komplexität einer europäischen Marginalitätsproblematik zu veranschaulichen. Schlussfolgernd hält sie fest, dass breite Segmente der Ethnie heute politisch, ökonomisch und gesellschaftlich marginalisiert sind. Ethnische und soziale Trennlinien der Betroffenen zu ihrem gesellschaftlichen Umfeld überlagern sich, so dass von „Ethnisierung der Armut“ gesprochen werden kann. Von „Integration durch Demokratisierung“, so Schüler, könne hingegen keine Rede sein. Am Beispiel der Roma zeige sich, welch friedensgefährdende Potenziale soziale Ungleichheit, die Nichtverwirklichung materieller Grundbedürfnisse, die Missachtung von Menschenrechten sowie unzureichende sozioökonomische und politische Partizipationschancen insbesondere in ethnisch fragmentierten Gesellschaften enthalten.

Podiumsdiskussion: Berliner Friedenspolitik aus Sicht der Bundestagsparteien und gesellschaftlicher Gruppen

Auf Seiten der Politik diskutierten Gesine Lötsch (Die Linke, MdB), Markus Meckel, (SPD, MdB) und Winfried Nachtwei (Bündnis90/Die Grünen, MdB); VertreterInnen der Zivilgesellschaft waren Jörg Calließ (Evangelische Akademie Loccum, Plattform Zivile Konfliktbearbeitung), Reinhard Hermle (Misereor) und Barbara Lochbihler (Generalsekretärin amnesty international, Sektion Deutschland).

Die Eingangsfragen bezogen sich auf die Reformbemühungen der Vereinten Nationen und der Rolle Deutschlands dabei. Hermle bezeichnete das Jahr 2005 als bemerkenswert, da es eine „Zwischenmarke“ – 5 Jahre seit Verkündung der UN-Millenniumsziele, 10 Jahre bis zur Zielmarke – darstellte. Alle politischen Gipfel, wie der G8-Gipfel in Schottland oder die Ministerkonferenz der World Trade Organization (WTO) hätten entwicklungspolitische Fragestellungen behandelt. Er erkenne zwar Fortschritte, zum Beispiel in konkreten Versprechen zur Mittelaufstockung, aber sehe nicht, dass die Wahrscheinlichkeit der Erreichung der Ziele bis 2015 höher geworden sei. Er sehe eine große Herausforderung für Deutschland, das Versprechen der Mittelaufstockung für die Entwicklungspolitik zu realisieren und hält dabei als Finanzierungsmodell die Flugticketabgabe, die in einigen Ländern bereits beschlossen, in Deutschland jedoch noch nicht durchgesetzt ist, für eine Möglichkeit.

Lötsch sieht die Aufgaben Deutschlands in einer Hinwirkung auf friedliche Konfliktaustragung und bemerkte, dass die Energie im politischen Ringen um einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat für andere Zwecke sinnvoller hätte eingesetzt werden können. Wichtig sei vielmehr eine Gleichbehandlung aller Staaten bei Menschenrechtsfragen – ein Ziel, für das sich ein Engagement Deutschlands sehr lohnen würde.

Meckel bedauerte, dass es mit einem ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat nicht geklappt habe, betonte aber zugleich, dass auch er denke, dass die deutsche Diskussion im letzten Jahr zu stark um die Debatte „Sicherheitsrat“ kreiste. Eine Reform hielte er für wichtig und richtig, wenn dabei eine größere Repräsentanz „der großen Staaten dieser Erde“ entstünde.

Nachtwei hält die neu eingerichtete Peacebuilding Commission der Vereinten Nationen für einen wichtigen Schritt von enormer Bedeutung. Man müsse sich gegen Doppelstandards und gegen die Loslösung von internationalen Rechtsnormen einsetzen. Neben UN-Fähigkeit und UN-Treue nannte Nachtwei als dritten Punkt UN-Bereitschaft, um seitens der Staaten die Arbeit der Vereinten Nationen zu unterstützen.

Der Generalsekretärin von amnesty international, Barbara Lochbihler, zufolge kommt der Plan zur Einrichtung eines Menschenrechtsrates nicht weiter, da die USA diesen blockieren würden. Sie hält jedoch diese Einrichtung für sehr wichtig, um – nach der „Ver-machtlichung“ der bestehenden UN-Menschenrechtskommission – ein starkes Gremium und ein Forum für konstruktive Debatten zu haben. Allerdings stelle sich nach wie vor die Frage, wie sich die Mitgliedschaft im Menschenrechtsrat zusammensetzen werde. „Vorausschauende und wirksame Friedens- und Sicherheitspolitik ist Menschenrechtspolitik“, so Nachtwei. Daran müsse permanent gearbeitet werden.

Auch war erneut der „Aktionsplan Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ der Bundesregierung Thema. Nachtwei bemerkte in Bezug auf die Kohärenz des Aktionsplanes, dass die Erfahrungen ernüchternd seien, dass der Ressortkreis nur schwach ausgestattet sei (sowohl personell als auch finanziell), und dass andere Ministerien zurückhaltend seien, obwohl sie für eine Verankerung als Querschnittsaufgabe die ersten Ansprechpartner seien.

Es wäre wichtig, den Aktionsplan höher anzusiedeln und ihm eine höhere Steuerungskompetenz zuzuweisen. Calließ erkennt im Aktionsplan den ersten ernsthaften Versuch, Friedenspolitik ressortübergreifend zu sehen und den ersten ernsthaften Versuch, eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen Regierungshandeln und gesellschaftlichem Handeln zu ermöglichen. Auch er betonte die Notwendigkeit, dass der Ressortkreis effektiver arbeiten und auf höherer Ebene – die der Staatssekretäre – besetzt sein müsse. In seiner gegenwärtigen Form sei der Aktionsplan unkonkret und stelle eine unsystematische Sammlung dar.

In der Diskussion wurde gefordert, dass parlamentarische Initiativen notwendig seien, um den Ressortkreis mit besseren Ressourcen auszustatten. Der im Mai erscheinende Bericht über den Aktionsplan stelle eine gute Gelegenheit dar, dass der Bundestag den Bericht zum Anlass für eine breite Thematisierung und Debattierung nehmen könne.

Meckel bemerkte, dass die Mehrheit des deutschen Bundestages den Aktionsplan nicht kenne. Dies sei aber normal, der Bundestag sei ein arbeitsteiliges Instrument, in dem auch wenige Personen, die sich bestimmten Inhalten widmeten, etwas bewegen könnten. Auch Nachtwei konstatierte eine Unkenntnis unter den ParlamentarierInnen und hielt fest: „Wir sind da über eine Nische noch nicht hinausgekommen.“ Aber er sieht 2006 als ein wichtiges Jahr an: Im Kontext der Entstehung eines neuen „Weißbuchs zur Friedens- und Sicherheitspolitik“ (das letzte war Ende der achtziger Jahre erschienen) und der Vorbereitung der deutschen EU-Präsidentschaft könne und müsse der Aktionsplan vorangetrieben werden.

Zur Frage an die ParlamentarierIn, wie die Zukunft des Vertrags über die Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen (Non-Proliferation Treaty, NPT) aussehe, ob es parlamentarische Initiativen gäbe und wie diese Einfluss nehmen könnten, bemerkte Lötsch, dass es stets eine heikle Frage sei, wie man mit Verbündeten umgehen könne. Es müsse alle Oppositionskraft gebündelt werden, um die Regierung unter Handlungsdruck zu setzen. Nachtwei sagte hierzu, dass es eine Tabuisierung des Verhaltens von Verbündeten im deutschen Parlament schon unter der rot-grünen Regierung gegeben hätte, und dass dies bei der neuen Regierung noch stärker zu erwarten sei.

Ein weiteres Thema war die UN-Resolution 1325: Nach wie vor gibt es in Deutschland keinen Aktionsplan zur Umsetzung, aber ist ein solcher im Parlament überhaupt auf der Agenda? Dies musste verneint werden, aber immerhin sei die Umsetzung in den Aktionsplan Zivile Krisenprävention der Bundesregierung aufgenommen worden. Auch müsse das Bewusstsein über die Geschlechtergerechtigkeit innerhalb von Zivilgesellschaft insgesamt und von einzelnen NGOs weiterentwickelt werden, und nicht mehr Thema von nach wie vor und fast immer nur Frauen bleiben.

Eine weitere Frage betraf die „Friedensmacht Deutschland“: Wie könne es sein, dass in Afghanistan für Militär ungleich mehr ausgegeben werde als für Entwicklungszusammenarbeit (EZ)? Hermle begründete dies damit, dass die Finanzfrage bei Militärausgaben in der Regel kein Problem darstelle (im Gegensatz zu anderen Ausgaben, für die nur einzelne Ressorts zuständig seien). Auch fehle ein ausreichendes Bewusstsein für die Wichtigkeit von EZ. Nachtwei betonte zwar, dass nicht vergessen werden dürfe, dass militärisches Eingreifen immer kostspieliger sei als ziviles, dass aber dennoch keine Ausgewogenheit in den Ressourcen erkennbar sei.

 

Mitgliederversammlung der AFK: Neuer Vorstand

Die AFK hat bei ihrer Mitgliederversammlung in Berlin einen neuen Vorstand und eine neue Jury für den Nachwuchspreis gewählt.

Der Vorstand setzt sich wie folgt zusammen: Prof. Dr. Peter Schlotter, (1. Vorsitzender), Dr. Barbara Müller, (2. Vorsitzende) und als BeisitzerIn (in alphabetischer Reihenfolge) Renate Grasse, Dr. Peter Imbusch, Prof. Dr. h.c. Karlheinz Koppe und Wilhelm Nolte. Kooptiert sind Dr. Simone Wisotzki als Frauenbeauftragte sowie Sarah Clasen und Mark Franken als SprecherIn des AK „Nachwuchs“.

Als Jury des „Christiane-Rajewsky-Nachwuchspreises“ wurden Prof. Dr. Hanne-Margret Birckenbach (Vorsitz), Jun.-Prof. Dr. Thorsten Bonacker, Jun.-Prof. Dr. Tanja Brühl, Uli Jäger und Christiane Lammers gewählt.

 

Tanja Hausmann (Bonn/Münster),

unter Einarbeitung der Arbeitsgruppenberichte

 von Wolfgang Wagner, Martina Fischer, Renate Grasse und Peter Imbusch