Drastische Kürzungsvorhaben bedrohen Einrichtungen der Friedensforschung
Stellungnahme des Vorstandes der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung (AFK)
Wir sorgen uns um die Zukunft etablierter Einrichtungen der Friedensforschung. Auch wenn die meisten von ihnen unter der Finanzknappheit ihrer öffentlichen bzw. privaten Mittelgeber zu leiden haben: Den Forschungsinstituten in Hamburg und Frankfurt/M. sowie der Landesarbeitsgemeinschaft in Nordrhein-Westfalen drohen die jeweiligen Länder mit besonders dramatischen Kürzungen.
Der Senat der Hansestadt plant massive Einschnitte. Der bislang radikalste Vorschlag sieht vor, für das Haushaltsjahr 2005 zwei Drittel der Zuwendungen an das Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH) zu streichen. Die Einsparungen für das Land wären minimal: Die bisherigen Zuwendungen in Höhe von 1,3 Millionen Euro belaufen sich auf nicht einmal zwei Promille des Haushalts für Wissenschaft und Forschung, der insgesamt 783 Millionen Euro umfasst. Für das Institut hingegen hätten die Kürzungen existenzbedrohende Ausmaße.
Bereits jetzt leidet das IFSH darunter, dass der Senat das Verfahren für die Besetzung der vakanten Direktorenstelle bis zum Abschluss des Prüfverfahrens ausgesetzt hat. Offensichtlich versucht er, die Situation, welche durch den Tod des letzten Direktors Dieter S. Lutz im Januar diesen Jahres entstanden ist, zu nutzen, um die Zustimmung der kommissarischen Institutsleitung zu den Sparvorhaben zu erwirken. Dabei möchte der Senat nicht nur Gelder einsparen, sondern durch Verkauf des jetzigen Institutsgebäudes zusätzlich Einnahmen erzielen. Die Geschichte der Blankeneser Villa scheint ihn von diesem Vorhaben nicht abzuschrecken: Als Besitz einer jüdischen Familie wurde sie in der Zeit des Nationalsozialismus „arisiert“ und nach 1945 der Stadt Hamburg für gemeinnützige Aufgaben überlassen. Ein Verkauf zu Zwecken der Haushaltssanierung verbietet sich daher von selbst. Sicherlich kann das IFSH keinen exklusiven Anspruch geltend machen – aber ein Friedensforschungsinstitut ist für diesen Ort eine gute Lösung.
Im Unterschied zur Lage in Hamburg, wo derzeit diverse Kürzungsvorschläge kursieren, sind die Planungen der hessischen Landesregierung schon weiter konkretisiert. Das Ministerium für Wissenschaft und Kunst hat für das kommende Jahr drastische Einsparungen für die Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) angekündigt: Von den ursprünglich vorgesehenen knapp 2,2 Millionen Euro sollen nur etwas mehr als 1,7 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden. Dies bedeutet für das Institut eine Kürzungsquote von zwanzig Prozent, für das Ministerium einen Spareffekt von nicht einmal 0,3 Promille – gemessen an dem Gesamthaushalt von 1,7 Milliarden Euro in diesem Jahr. Ein derartiger Eingriff würde Einschnitte beim Personal und den Abbruch einer Reihe von Forschungsprojekten nach sich ziehen. Das Vorgehen seitens der Regierung ist umso weniger verständlich, als sie sich gemeinsam mit dem Institut um die Erfüllung jener anspruchsvollen Kriterien bemüht, die vor dessen Aufnahme in die Leibnitz-Gesellschaft erfüllt sein müssen. Bei Erfolg des Vorhabens wäre eine anteilige Finanzierung durch Bundesmittel gewährleistet. Und mit genau dieser Zielsetzung hat das Land die HSFK in den letzten Jahren verstärkt gefördert.
Bei der Landesarbeitsgemeinschaft Friedenswissenschaft in Nordrhein-Westfalen (LAG NRW) handelt es sich um eine Koordinationsstelle friedenswissenschaftlich ausgerichteter Hochschullehrer und –lehrerinnen. Die Einrichtung erhielt bis zum Jahr 2002 Zuwendungen der Landesregierung in Höhe von 75.000 Euro. Auch wenn sich Pläne für eine komplette Streichung nicht durchsetzen konnten, so bedeutet die vollzogene Kürzung um ein Drittel einen erheblichen Einschnitt: Von den verbliebenen 50.000 Euro kann nur noch eine Mitarbeiterstelle finanziert werden. Zwei Hilfskraftstellen sowie eine zehnprozentige Sekretärstelle fielen dem Sparkurs zum Opfer. Auch Gelder für Kleinprojektförderung und zur Unterstützung der friedenswissenschaftlichen Lehre stehen kaum mehr zur Verfügung. Für das nächste Haushaltsjahr sind weitere Einsparungen zu befürchten. Als Konsequenz droht die Schließung der Geschäftsstelle und damit das organisatorische Ende des Kooperationsverbundes.
Die Kürzungen für die genannten Einrichtungen fallen in eine Zeit, in der wissenschaftlicher Bedarf und öffentliche Nachfrage an Erkenntnissen der Friedensforschung gewachsen sind. Dies haben die terroristischen Anschläge vom 11. September 2001, der Irakkrieg und die nach wie vor ungelöste Problematik der Massenvernichtungswaffen deutlich vor Augen geführt. Als kompetente Interviewpartner der Medien und als kritische Ratgeber praktischer Politik waren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht zuletzt der Institute gefragt, die nun von den Einschnitten betroffen sind.
Auf die steigenden Anforderungen an die Friedensforschung hat der Bund bereits im Jahr 2000 mit der Gründung der Deutschen Stiftung Friedensforschung (DSF) reagiert. Aus dem Zinsertrag des Stiftungsvermögens, das sich gegenwärtig auf 25 Millionen Euro beläuft, konnten Forschungsprojekte finanziert, Tagungen unterstützt und neue Studiengänge eingerichtet werden. Damit haben Regierung und Parlament einen wichtigen, wenn auch bescheidenen Schritt getan, um die Friedensforschung aus ihrer Nischenexistenz innerhalb der deutschen Wissenschaftslandschaft herauszuführen. Denn sogar in Zeiten besser gefüllter Kassen war die Friedensforschung nicht gerade üppig mit Fördermitteln bedacht worden. Hier besteht – auch im internationalen Vergleich – großer Nachholbedarf. Diese positiven Ansätze auf Bundesebene werden jedoch unterlaufen, wenn einige Länder an tragende Säulen der Friedensforschung die Sparaxt anlegen. Nicht zuletzt an den von ihnen geförderten Instituten wird friedenswissenschaftliche Grundlagenarbeit geleistet, werden Expertinnen und Experten unterschiedlicher Disziplinen der Natur- und Sozialwissenschaften zusammengebracht, Antworten auf drängende politische Fragen erarbeitet und praxisnahe Aufbaustudiengänge für Friedens- und Konfliktforschung durchgeführt.
Wir rufen die Landesregierungen auf, alles dafür zu tun, um zumindest den bisherigen Bestand der Friedensforschung zu sichern. Eine solide Grundfinanzierung bleibt die Voraussetzung auch dafür, dass die Institute bei Einrichtungen der Forschungsförderung weiterhin mit Erfolg Drittmittel einwerben können. All dies verlangt, von den Kürzungsvorhaben abzusehen, die derzeit im Raum stehen. In sämtlichen genannten Fällen wären die Spareffekte für die öffentliche Hand minimal, die Folgen für die betroffenen Institute hingegen gravierend. Den Senat der Hansestadt Hamburg fordern wir darüber hinaus auf, den Weg für die Neubesetzung der Direktorenstelle unverzüglich freizumachen.
Die Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung (AFK) ist eine wissenschaftliche Vereinigung. Gegründet 1968, gehören ihr Friedensforscher und Friedensforscherinnen aus Universitäten, Forschungsinstituten sowie gesellschaftlichen Friedensorganisationen an.
Verantwortlich im Sinne des Presserechts: Dr. Sabine Jaberg, Kirchenstr. 13, 22767 Hamburg, Tel 040 / 86 30 34
(Erstveröffentlchung: Frankfurter Rundschau, Standpunkte, 28.10.2003)
zum Seitenkopf
Verantwortlich für diese Seite und die gesamte Website der AFK ist der Geschäftsführer der AFK: Wilhelm Nolte - siehe mailen!
|